Full text: [Vorstufe, [Schülerband]] (Vorstufe, [Schülerband])

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am Rande des Waldes, an den sein Feld stieß. Er ruhte von 
der Arbeit und wollte eben sein Vesperbrot, die mitgebrachte saure 
Milch, verzehren, als Inrik bei ihm anlangte. Da freute sich der 
Vater über den Kleinen und über die Piroggen, ließ ihn neben sich 
niedersitzen und gab ihm auch davon. 
Als nun die Feldarbeit wieder anging, machte sich der Inrik 
auf den Rückweg, und da er keine Eile hatte, pflückte er von den 
schönen, roten Erdbeeren, die am Wege standen. Die schmeckten 
ihm so süß und immer süßer, je mehr er davon aß, daß er endlich 
an nichts anders dachte als an die Erdbeeren und, je nachdem sie 
wuchsen, immer tiefer in den Wald lief. Da er nun satt war, 
pflückte er auch noch ein Sträußchen für die Mutter und wollte 
dann zurückgehen auf den Weg. Aber er hatte die Richtung ver⸗ 
fehlt und geriet in dichtes Gestrüpp, aus dem er sich nicht wieder 
herausfinden konnte. Da wurde er ängstlich und irrte mit seinem 
Erdbeersträußchen kreuz und quer und stundenlang umher, bis seine 
kleinen, nackten Füßchen von Dornen zerrissen, und er so müde 
war, daß er nicht weiter konnte. So setzte er sich denn weinend 
unter eine alte Fichte, und traurig und erschöpft, wie er war, sangen 
ihn die Drosseln bald in Schlaf. 
Er hatte sich nur etwas ausruhen wollen und dann weiter 
gehen; aber er schlief so fest und lange, daß, als er endlich erwachte, 
der Nachtwind bereits die Wipfel der Birken wiegte. Da fing der 
arme Junge bitterlich zu weinen an und rief laut nach seiner 
Mutter, die ihn freilich nicht hören konnte. Aber ein Paar schärfere 
Ohren hörten ihn! 
Es war ein Morast in der Nähe, in dessen Mitte eine alte 
Wölfin auf dem Lager lag. Die hörte den Hülferuf des kleinen 
Inrik, streifte ihre Jungen von sich ab, erhob sich und zog leichten 
Schrittes mit hohlem Leibe über den bruchigen Boden hin. Plötz⸗ 
lich fühlte der jammernde Knabe sich von einer kräftigen Tatze zu 
Boden gestreckt und war fast des Todes, als er die glühenden 
Augen des Raubtieres dicht an den seinigen erblickte. Die Wölfin 
beschnupperte den Knaben, der in seiner Angst still wie ein Toter 
dalag. Dann faßte sie ihn mit scharfen Zähnen bei seinem Hemd⸗ 
chen und trat den Rückzug mit ihm an. 
Eilig ging's nun fort über Stock und Block, durch dick und 
dünn. Halb trug die Wölfin den geraubten Knaben, halb trieb sie 
ihn durch Peitschen mit ihrem dicken Schwanze zum Selberlaufen 
an. Endlich legte sie ihn zwischen drei kleinen Wölfen mit breiten 
stöpfen und kurzen Schwänzen auf ihr Lager nieder und leckte seine
	        
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