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abenteuerlich mit Strauchwerk, Heidelbeerkraut und struppigen. Dornen be-
wachsenen Granitblöcken umgeben, der Ort Schierke, dessen ärmliche Be-
wohner mit bleichen Gesichtern und dicken Hälsen fast wie Gnomen aus-
sehen. Dort rauscht die kalte Bode durch das schauerliche, enge, tannendüstere
Thal. Da liegen aber auch die malerischen Gruppen der Hohneklippen, an
deren Fuße treffliche Milchkühe weiden und mit melodischem Glockengeläute
die einsame Wildnis beleben. Dort liegt endlich das zwar wilde und schwer
zugängliche, doch prächtige Thal der holden Emme, eines der schönsten
und nächst der Rosstrappe das Großartigste, was der Harz anfzuweisen
hat. + In jähemAbfalle braust in jugendlichem Übermuthe die Holtemme
in ihrer „steinernen Renne“’, fast in lauter kleinen Wassenfällen vorwärts.
springend, aber sorgsam vom Tannenzweig und dem zierlich gefieder-
ten Jarrenkraut überschattet. Ernst und feierlich schauen die im Sonnen-
schein silbergleich glänzenden Felsklippen der Uferländer dich an, und
je höher du ssteigst, desto mehr scheint das Auge in der Unendlichkeit dieser
Bergwüste sich verlieren und den unheimlichen Mächten des Waldes wider-
standslos anheimfallen zu müssen. Doch da wird es plötzlich Licht! Du
stehst auf einem Felsvorsprunge, und das Thal öffnet sich zur lachenden
Ebene nach Halberstadt und Magdeburg mit den fruchtbaren Äckern und
großen Dörfern. Hier in der ,,steinernen Renne“! ergreift dich der
mächtige Contrast zwischen Berg und Ebene.
Der Harz ist ein völlig isoliertes Gebirge, das scharf und abge-
sondert, besonders von Nordwest bis gegen Südost, aus der Ebene auf-
steigt. Selbst im Süden ist sein Hervortreten durch die Jlefelder Berge
scharf genug bezeichnet, und nur östlich nach Mansfeld sind die Grenzen
des Gebirges undeutlich, indem es, selbst verflacht, seinen Fuß auf eine
hohe Gegend setzt. Am erhabensten und großartigsten sieht aber der
Oberharz mit dem Brocken aus. Je höher man diesen Berg hinaufssteigt,
desto kürzer, zwerghafter werden die Tannen, sie scheinen immer mehr
und mehr zusammenzuschrumpfen, bis nur Heidelbeer- und Rothbeer-
sträucher und Bergkräuter übrig bleiben. Da wird es auch schon fühl-
bar kälter. Die wunderlichen Gruppen der Granitblöcke werden hier
erst recht sichtbar; diese sind oft von erstaunlicher Größe. Das mögen
wohl die Spielbälle sein, die sich die bösen Geister einander zuwerfen
in der Walpurgisnacht, wenn hier die Hexen auf Besenstielen und
Mistgabeln einhergeritten kommen. Jn der That, wenn man die obere
Hälfte des Brockens besteigt, kann man sich nicht erwehren, an die er-
gößlichen Blocksberggeschichten zu denken. Es ist ein äußerst erschöpfen-
der Weg, und man ist froh, wenn man endlich das langersehnte Brocken-
haus zu Gesicht bekommt, 1113 Meter über der Nordsee gelegen.
.. Da der Brocken auf allen Seiten von Vorbergen des Harzes umgeben
ist, so erblickt man keine malerischen Landschasten von anmuthigen Par-
tien des Gebirges; sie sind zu fern, um von hier aus erkannt zu werden.
Aber über alles im weiten Umkreise erhaben dastehend, durch nichts
im Sehen gehindert, beherrscht man eine ungeheure Fläche Land und
bedeutende Massen von Gebirgen, die gleich einer Landkarte zu unseren