Full text: Lesebuch zur Geschichte der deutschen Literatur alter und neuer Zeit

Bluͤthe der rikterlichen (romantischen) Poesie. 
„Er ist noch nicht im Zorne,“ sprach da Hildebrand. 
„Nun ruf' in den Garten, du kühner Weigand, 
Und sag' ich sei gestorben, er habe mich erschlagen: 
Wenn das ihn nicht erzürnet, dann mögen wir wohl klagen.“ 
Wolfhart rief in den Garten, daß weit die Luft erscholl: 
„O weh mir meines Leides, das ist so groß und voll! 
Hildbrand ist erstorben, wir müssen ihn begraben: 
O weh, du Vogt von Berne, was hast du ihn erschlagen!“ 
„Ist Hildebrand gestorben,“ rief der Berner gleich, 
„So findet man an Treue Keinen, der ihm gleich. 
Nun hüte deines Lebens, Siegfried, kühner Mann, 
Es ist mein Scherz gewesen, was ich noch stritt bis heran. 
„Wehr' dich aus allen Kräften, es thut dir wahrlich Noth. 
Uns Beide scheidet Niemand, als des Einen Tod. 
Ich hab' um deinetwillen verloren einen Mann, 
Den ich bis an mein Ende nimmer verwinden kann.“ 
Da sprach der kühne Siegfried: „Des Dreuens treibt Ihr viel. 
Was Ihr mit mir streitet, das ist mir nur ein Spiel. 
Der hat zuletzt den Schaden, der sein am Haupt entgilt.“ 
Da liefen wieder beide gegen einander wild. 
Wie ein Haus das dampfet, wenn man es zündet an, 
So mußte Dietrich rauchen, der zornige Mann. 
Man sah eine rothe Flamme gehn aus seinem Mund; 
Siegfried's Horn erweichte: da ward ihm Dietrich erst kund. 
Er brannte wie ein Drache, Siegfrieden ward so heiß, 
Daß ihm vom Leibe nieder durch die Ringe floß der Schweiß. 
Den edeln Vogt von Berne ergriff sein grimmer Zorn: 
Er schlug den kühnen Siegfried durch Harnisch und durch Horn, 
Daß ihm das Blut, das rothe, herabsprang in den Sand; 
Siegfried mußte weichen, wie kühn er eben stand. 
Er hatt' ihn hingetrieben, jetzt trieb ihn Dietrich her: 
Das sah die schöne Kriemhild, die begann zu trauern schwer. 
Da sprach Frau Brunhilde: „Herr Dietrich ist im Zorn: 
Siegfrieden mag nicht helfen sein Harnisch noch sein Horn. 
Ich seh die Ringe stieben von dem kühnen Mann, 
Sein Blut seh' ich fließen: um den Helden ist's gethan.“ 
Der Berner schnitt die Ringe als wär' es faules Stroh; 
Zum erstenmal im Leben sah man, daß Siegfried floh. 
Da jagt' ihn durch die Rosen der Berner unverzagt. 
Nun säumte sie nicht länger die kaiserliche Magd. 
Sie sprang von ihrem Sitze, ein Kleid sie von sich schwang, 
Kriemhild in großer Eile hin durch die Rosen drang, 
Da rief mit lauter Stimme die Königstochter hehr; 
„Nun laßt von euerm Streite, Dietrich, ich fleh' euch sehr. 
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