Full text: Lesebuch zur Geschichte der deutschen Literatur alter und neuer Zeit

Die klassische Periode. — Jean PaulgF. Richter. 38 
die Namen) vermache ich vor der Hand Nichts, weil ich aus ihrem eigenen 
Munde weiß, daß sie meine geringe Person lieber haben, als mein großes 
Vermögen, bei welcher ich sie denn lasse, so wenig auch an ihr zu holen ist. — 
Ausgenommen gegenwärtiges Haus in der Hundegasse ganz, so wie es 
geht und steht, demjenigen von meinen genannten sieben Herrn Anverwandten 
anfallen und zugehören soll, welcher in einer halben Stunde (von der Ver— 
lesung der Clausel an gerechnet) früher als die übrigen sechs Nebenbuhler eine 
oder ein paar Thränen über mich, seinen dahingegangenen Onkel, vergießen 
kann vor einem löblichen Magistrat, der es protocollixt. Bleibt aber Alles 
trocken, so muß das Haus gleichfalls dem Universalerben verfallen.“ 
Hier machte der Bürgermeister das Testament zu, merkte an, die Be— 
dingung sei wohl ungewöhnlich, aber doch nicht gesetzwidrig, legte seine Uhr 
auf den Sessionstisch, welche auf 111, Uhr zeigte, und setzte sich ruhig nie— 
der, um als Testamentsvollstrecker, so gut wie das ganze Gericht aufzumerken, 
wer zuerst die begehrten Thränen vergöße. — Daß es, so lange die Erde 
geht und steht, je auf ihr einen betrübteren und krauseren Congreß gegeben, 
als diesen von sieben gleichsam zum Weinen vereinigten trocknen Provinzen, 
kann wohl ohne Parteilichkeit nicht angenommen werden. — Anfangs wurde 
noch lostbare Minuten hindurch blos verwirrt gestaunt und gelächelt, an eine 
Ruhrung konnte, — das sah Jeder — Keiner denken, so im Galopp an 
Platzregen der Augen, doch konnte in 26 Minuten etwas geschehen. — Der 
Kaufmann Neupeter fragte: ob das nicht ein verfluchter Handel und 
Narrenposse sei für einen verständigen Mann, und verstand sich zu Nichts. 
Doch verspürte er bei dem Gedanken, daß ihm ein Haus auf einer Zähre in den 
Beutel schwimmen könnte, sonderbaren Drüsenreiz und sah aus wie eine kranke 
Lerche. — Der Hoffiscal Knoll verzog sein Gesicht wie ein armer Hand— 
werksmann, den ein Gesell Sonnabend Abends bei einem Schusterlicht rasirt; 
er war fürchterlich erboßt auf den Mißbrauch des Titels von Testamenten 
und nahe genug an Thränen des Grimms. — Der listige Buchhändler 
Pasvogel machte sich sogleich still an die Sache selber und durchging flüch— 
tig alles Ruͤhrende, was er theils im Verlage hatte, theils in Commission, 
und hoffte etwas zu brauen; doch war durchaus Zeit erforderlich zum Effekt. 
— Zlitte aus Elsaß tanzte grade zu im Sessionszimmer und schwur, 
er sei nicht der Reichste unter ihnen, aber für ganz Straßburg und Elsaß 
dazu, wäre er nicht im Stande, bei einem solchen Spaß zu weinen. Zuletzt 
sah ihn der Polizei-Inspektor Herprecht sehr bedeutend an und ver— 
sicherte; falls Monsieur etwan hoffe durch Gelächter aus den bekannten Drü— 
sen, der Meibomischen und Andern, die begehrten Tropfen zu erpressen, so 
wolle er ihn erinnern, daß er damit so wenig gewinnen könne als wenn er 
sich die Nase schnäuzen und davon profitiren wollte. — Wer der Elsasser 
hersicherte, er lache nur zum Spaß, nicht aus ernsten Absichten. — Der In— 
spektor seinerseits, bekannt wegen seines entwässerten Herzens, suchte dadurch 
etwas passendes in die Augen zu treiben, daß er mit ihnen sehr starr und 
weit offen blickte — Der Frühprediger Flachs hätte mit seinem Herzen, 
das durch Haus⸗ und Kirchenjammer schon die besten schwülsten Wolken um 
sich hatte, leicht wie eine Sonne vor elendem Wetter, auf der Stelle das 
nöthigste Wasser aufgezogen, wär ihm nur nicht das herschiffende Haus immer 
dazwischen gekommen als ein gar zu erfreulicher Anblick und Damm. — Der 
Kirchenrath Glanz, der seine Natur kannte, aus Neujahrs- und Leichen⸗ 
predigten, und der gewiß wußte, daß er sich selber zuerst erweiche, sobald er
	        
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