Die klhassische Periode. — Heinrich Steffens 401
änderte die Stellung, ein magischer Wechsel von Schatten und Licht verklärte
das Ganze; die schroffen Felsenwände standen dunkel neben den schneebedeckten
AWhängen und wechselten oft streifenweise. Eine ven Gegend, ein Reich der
Ausdehnung nach, lag vor ihm. Tief in der größten Entfernung, im wei—
testen Hintergrunde, wo die Berge auseinandertraten, wo man durch eine
Reihe von an einander gedrängten, gewaltigen Höhen von der mamigfaltig
sten Form hindurchblickte, wo der helle Himmelen schneidenden Umrissen das
Entfernteste klar und deutlich, dem Auge nahe rückte, lag eine Felsenspitze
ganz in Morgengluth, wie ein seltsames Feuerbild, vie en zweite Sonne,
um das wunderbare Gemälde abzuschließen. Der südlichere Bewohner der
Flächen kann einen solchen Anblick kaum auf eine heuen Weise genießen.
Das Erklettern der Höhen erschöpft, ermüdet ihn; von der strengen Kälte fteht
er zähneklappernd da, die mächtige Umgebung erdrückt, das Gefühl der ge—
waltigen Nalureinsamkeit in deren furchtbare Mitte er versetzt ist, ängstigt
ihn, und mit Scheu und Furcht blickt er um sich. Der richtige Norweger
lennt diese Angst nicht. Er ist heimisch in diefen Gegenden dt mächtige
Geist der Schneewelt, dessen Dafein man in den fruchtbaren Thälern kaum
ahnet, ist ihm verwandt, er weiß, daß er mit der weiten Entfernung ringen,
daß er sie besiegen kann und wenige Stunden bringen ihn, aus der Mille
des einsamsten Gebirges, nach der traulichen Wohnung.
Die Höfe in Norwegen, die immer einzeln, selten drei und vier in einiger
Nähe liegen, haben eigene Namen. Stokke hieß ein einsamer Hof, der, weit
von den übrigen entfernt, verlassen in dem wildesten Gebirge lag und diesen
hatten sie gehofft, noch, ehe es völlig dunkel würde, zu erreichen. AWer die
Schneewolken erschienen immer drohender, der Wind pfiff schneidend über die
Ebene und das Gefühl der drohenden Gefahr, eine Nacht in dieser Höhe, in
solcher Jahreszeit zubringen zu müssen, band ihnen die Zunge und beflügelte
ihre Schritkte. Berge, Agründe, Schluchten flogen an ihren Blicken vorüber
und schienen in die gewaltigen Tiefen hinabzufürzen. So vergingen einige
Stunden. Der Wind ließ nicht nach, die Wolken entluden sich, der Schnee
fiel immer dichter und aus der Fläche erhoben sich die eben gefallenen Flocken.
Das Schneegestöber fing an jede Aussicht zu schließen, und von drohenden
Gebirgen umringt, fern von jeder Wohnung, verweilten sie einen Augenblick
in einer finstern Schlucht. Noch kenne ich die Gegend, rief Torger, dort
müssen wir hin, und zeigte nach einem Thal — aber wie w da Weg aus
diesem Thale finden, mag Gott wissen. Rasch zu, antwortete Storm, und sie
flogen hinunter, weithin mit fliegenden Schritten durch das Thal. Es fing
schon an dunkel zu werden, der Weg war nicht mehr zu erkenne ; die Felsen⸗
wände, die Höhen, ihre einzigen Wegweiser, lagen in Dammerung ind hinter
Schneegestöber verborgen. Indessen eilten sie weiter Eine ruhige Stelle,
an welcher der Wind schwieg, erlaubte einige Umsicht. Die Felsen sind mir
fremd, sagte Torger, dieses Thal führt uns in einer falschen Richtung aber
wo ist die richtige? — Einen Augenblick schienen sie sich zu besinnen.
Immer vorwärts! rief Storm, so lange wir sehen können, dürfen vir nicht
ruhen. Vielleicht treffen wir eine Gegend, die wir kennen. Was ist das
rief Storm nach einiger Zeit, als die Dunkelheit schon völlig auf dem Ge
birge ruhte. Wir sind auf eine Eisfläche gerathen, ich höre es. Das ist
Lerungen, antwortete Torger hastig, von einem westlichen Thale aus haben
wir seine Ufer erreicht. Triumph, Freund, wir haben ein VNachtlager und
morgen einen bekannten Weg. Sieh, hier raat eine schroffe Felsenwand in
Weber, Lesebuch. 4. Aufl. 2