Die Dichter unserer Zeit — Auerbach. 521
eingestimmt in den allgemeinen Jubelruf; in den Jubelruf: Es lebe der
schwäbische Jüngling, in welchem der Genius unsres Vaterlandes einen großen
Dichter erweckt hat, einen Dichter, welcher Außerordentliches leisten und unsere
Kinder und Kindeskinder noch entzücken wird, es lebe Friedrich Schiller!“
10. Berthold Auerbach
1. Pilgrims Fahrten.
(Aus „Edweiß⸗)
Der Doktor begann: „Dieser Pilgrim ist der Sohn eines Schildermalers;
früh verwaist wurde er auf Gemeindekosten beim alten Schullehrer erzogen.
Er war aber weit mehr oben auf der Morgenhalde beim Uhrmacher Lenz, als
beim Schullehrer. Die Frau, die man heute begraben hat, war wie eine
Muttker an ihm. Das einzige Kind, das den Leuten verblieben ist, ist wie
sein Bruder geworden; der Pilgrim war immer anstelliger und gewandter, der
Lenz hat bei aller Tüchtigkeit in seinem Beruf etwas Träumerisches, und wer
weiß, ob nicht im Lenz ein Musikgenie, und im Pilgrim ein Malergenie steckt!
Es ist bei beiden nicht herausgekommen. Sie müssen einmal den Lenz singen
hören, er singt den ersten Tenor in dem Liederkranz. — Wie nun die beiden
halbwüchsige Burschen sind, kommt der Lenz zu seinem Vater in die Lehre
und Pilgrim zu einem Schildermaler, aber sie halten doch treu zusammen.
An Sommerabenden konnte man die Beiden so sicher wie die beiden Brüder—
sterne am Himmel da oben beisammen sehen; singend und pfeifend wandelten
sie miteinander durch's Thal und über die Berge, und an Winterabenden
wandelte Pilgrim durch Schnee und Sturm zu Lenz — denn dieser mußte
daheim bleiben, er wurde von seiner Mutter etwas verwöhnt, er ist, wie ge—
sagt, das einzige Kind von fünfen —, und da lasen sie miteinander halbe
Nãaͤchte lang, besonders Reisebeschreibungen. Ich habe ihnen manche Bücher
geliehen, es war ein großer Wissenstrieb in den beiden Jünglingen. Als
Pilgrim sich vom Militär freiloos'te — Lenz war als einziges Kind von
selbst frei — traten sie nun mit ihrem Plan hervor, in die weite Welt mit
einander zu ziehen: denn bei aller heimischen Eingesessenheit ist eine große
Wanderlust in unserm Volke. Da zeigte sich zum ersten Mal ein zäher Eigen⸗
sinn in dem jungen Lenz, den man gar nicht in ihm vermuthet hätte; er
wollte durchaus nicht von der Reise abstehen, der Vater wollte ihn auch ziehen
lassen, die Mutter aber verzweifelte, und da selbst das Zureden des Pfarrers
fruchtlos war, wurde ich angerufen, ich sollte, wenn's nicht anders ginge, dem
Lenz ein ganzes Lazareth einreden. Ich suchte natürlich einen andern Weg.
Ich hatte von jeher das Vertrauen der beiden Unzertrennlichen, und sie weihten
mich willig in alle ihre Plane ein; Pilgrim war der eigentliche Anstifter.
Lenz ist bei aller Zartheit der Empfindung eine gesunde, praktische Natur,
natuͤrlich innerhalb seines Kreises und er darf nicht wirr gemacht werden,
dann trifft er das Richtige mit scharfem Verstand und hat eine Ausdauer bei
allem, was er thut, die wie eine Art Andacht ist. Lenz war eigentlich noch
nicht so fest entschlossen, als er seinen Eltern gegenüber Pilgrim darstellen
ließ. Lenz wollte, daß Pilgrim vorher ordentlich die Uhrmacherei erlerne, bevor
er auf die Handelschaft gehe, denn die Händler müssen natürlich überall Re—
paraturen machen können an Uhren, die sie vorfinden, und an solchen, die sie
mit sich führen: und in der That ging jetzt Pilgrim in die Lehre. As er