fullscreen: [Teil 2 = Kl. 7] (Teil 2 = Kl. 7)

„0, die Lügenbrut!" rief der Schneider, „einer so gottlos und pflicht¬ 
vergessen wie der andere! Ihr sollt mich nicht länger zum Narren 
haben!" Und vor Zorn ganz außer sich, sprang er hinauf und gerbte 
dem armen Jungen mit der Elle den Rücken so gewaltig, daß er zum 
Haus hinaussprang. 
Der alte Schneider war nun mit seiner Ziege allein. Am andern 
Morgen ging er hinab in den Stall, liebkoste die Ziege und sprach: 
„Komm, mein liebes Tierlein, ich will dich selbst zur Weide führen." 
Er nahm sie am Strick und brachte sie zu grünen Hecken und unter 
Schafgarbe und was sonst die Ziegen gerne fressen. „Da kannst du dich 
einmal nach Herzenslust sättigen," sprach er zu ihr und ließ sie weiden 
bis zum Abend. Da fragte er: „Ziege, bist du satt?" Sie antwortete: 
„Ich bin so satt, 
ich mag kein Blatt; meh, meh!" 
„So komm nach Hanse!" sagte der Schneider, führte sie in den Stall 
und band sie fest. Als er wegging, kehrte er sich noch einmal um und 
sagte: „Nun bist du doch einmal satt." Aber die Ziege machte es ihm 
nicht besser und rief: 
„Wie sollt' ich satt sein? 
Ich sprang nur über Gräbelein 
und fand kein einzig Blättelein; meh, meh!" 
Als der Schneider das hörte, stutzte er und sah wohl, daß er seine 
drei Söhne ohne Ursache verstoßen hatte. „Wart!" rief er, „du un¬ 
dankbares Geschöpf! Dich fortzujagen ist noch zu wenig; ich will dich 
zeichnen, daß du dich unter ehrbaren Schneidern nicht mehr darfst sehen 
lassen." In einer Hast sprang er hinauf, holte sein Bartmesser, seifte 
der Ziege den Kopf ein und schor sie so glatt wie seine flache Hand. 
Und weil die Elle zu ehrenvoll gewesen wäre, holte er die Peitsche und 
versetzte ihr solche Hiebe, daß sie in gewaltigen Sprüngen davonlief. 
2. 
Der Schneider, als er so ganz einsam in seinem Hause saß, verfiel 
in große Traurigkeit und hätte seine Söhne gerne wiedergehabt; aber 
niemand wußte, wo sie hingeraten waren. Der älteste war zu einem 
Schreiner in die Lehre gegangen. Da lernte er fleißig und unverdrossen, 
und als seine Zeit herum war, daß er wandern sollte, schenkte ihm der 
Meister ein Tischchen, das gar kein besonderes Ansehen hatte und von 
gewöhnlichem Holz war; aber es hatte eine gute Eigenschaft. Wenn 
man es hinstellte und sprach: „Tischchen, deck' dich!" so war das gute 
Tischchen auf einmal mit einem saubern Tüchlein bedeckt, und stand da
	        
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