Das Zeitalter der Reformation.
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Europäische Verhältnisse. Sowohl die Beziehungen der Staaten
untereinander als auch die innere Entwicklung fast eines jeden einzelnen
Staates wird durch die religiöse Bewegung beeinflußt.
Vor allem aber sind sie gezwungen, zu den beiden Weltmächten,
der habsbnrgischen und der osmanischen, Stellung zu nehmen. Frank¬
reich muß sich der Habsburgischen Übermacht erwehren, auch der Papst,
im Kampfe gegen die Evangelischen des Kaisers Verbündeter, hält als
italienischer Landesfürst oft zu seinen Gegnern.
Hatte sich die türkische Macht bis innerhalb der Grenzen der
Balkanhalbinsel gehalten, so ist das Nene in dieser Periode, daß sie das
mittlere Europa bedroht; Soliman der Große belagert Wien; zu¬
gleich durchbricht er nach der Eroberung von Rhodns die christliche Insel¬
kette im östlichen Mittelmeer und öffnet sich von den kleinasiatischen Häsen
aus den Zugang nach Westen.
Die deutsche Reformation in der Zeit vom Auftreten Luthers bis
zum Nürnberger Religionsfrieden. (1517—1532.)
§ 96. Dr. Martin Luther bis zum Ausscheiden aus der alten Kirche.
Martin Luther, geboren am 10. November 1483 zu Eisleben, war
der Sohn eines aus Möhra in Thüringen zugewanderten armen Berg¬
mannes. In Mansfeld, wohin er bald darauf übersiedelte, besserten sich
des Vaters Verhältnisse, so daß er daran denken konnte, seinem Sohne
eine gelehrte Bildung zu verschaffen. Überstreng erzogen, machte der
Knabe in Mansfeld, Magdeburg, Eisenach langsam Fortschritte. Im
Jahre 1501 bezog er die Universität Erfurt, um Philosophie und die
Rechte zu studieren. Den humanistischen Kreisen blieb er fern, obwohl er
die Alten las und wegen ihrer praktischen Lebensweisheit schätzte. Nach¬
dem er (1505) Magister artium geworden war, ging er, von quälenden
Zweifeln getrieben, in ein Augustinerkloster und unterwarf sich
strenger Askese. Der Ordensvikar von Staupitz verwies ihn auf das
Studium der Heiligen Schrift und der Kirchenväter, zumal des Augusti¬
nus. Zum Priester geweiht, siedelte er (1508) nach Wittenberg
über. Hier entfaltete er im Dienste seines Ordens als Seelsorger,
Prediger und Professor an der von dem Kurfürsten Friedrich dem
Weisen von Sachsen 1502 gestifteten Universität eine vielseitige Tätig¬
keit und bildete schon damals die Grundgedanken seiner Lehre aus. 1511
war er im Aufträge seines Ordens in Rom.
Der Ablaßstreit. In weiteren Kreisen wurde Luther durch den
Ablaßstreit bekannt. Im Jahre 1517 hatte der Papst Leo X., wie sein
Vorgänger, einen Ablaß verkündigt, den im Aufträge des Kardinals
Albrecht von Brandenburg, Erzbischofs von Magdeburg und
Mainz, in Ostdeutschland der Dominikaner Tetzel predigte. Veranlaßt
durch die bei der Erteilung des Ablasses geübte Praxis, schlug Luther am
Abend des 31. Oktobers 1517 zum Zweck einer Disputation an die
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