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beiden Stimmen, welche die Phocier und die Delphier im Amphiktyonenrat
inne gehabt hatten, erhielt Philipp (346).
Der Amphiktyonenrat (s. S. 46) hatte auf Betreiben der Thebaner die Spar-
tarier wegen der Besetzung der Kadmea, die Phocier wegen Aneignung des Helgen
Gebietes von Kirrha (s. S. 57) zu hohen Geldbußen verurteilt. Die Vollstreckung
(Exekution) des Urteils1 übernahmen die Thebaner, welche Philipp zu Hufe riefen.
Die Phocier wurden in dem Kriege, der den Charakter eines Verwüstungskrieges trug,
von Philomelos und nach dessen Tod von seinem Bruder Ouomarchos gefuhrt. Auch
Onomarchos und ein dritter Bruder Phayllos fanden während des Kampfes gegen
Philipp und die Thebaner ihr Ende. Der erste Versuch Philipps, durch die Thermo-
pylen zu dringen (352), war damals durch die Athener rechtzeitig verhindert worden.
Das schließliche Strafgericht über die Phocier war hart: ihre Städte tourdett
zerstört, die Einwohner entwaffnet und in offenen Flecken angesiedelt sowie zur JtucI;
erstattnng des Tempelraubes verpflichtet.
4. Athen und Philipp; der Fall Olynths (348) und der
Friede von 346. Athen war dem Umsichgreifen Philipps im Norden
und in Mittelgriechenland nicht mit voller Tatkraft entgegengetreten, wie-
wohl der patriotische Redner Demosthenes die Gefahr rechtzeitig erkannte
und seine Mitbürger in eindringlichen, feurigen Reden vor Philipp warnte
und zur Abwehr mahnte. So war 348 Olynth infolge der ungenügenden
Hilfeleistung der Athener in die Hände Philipps gefallen und damit das
letzte Bollwerk vor den Grenzen Macedoniens beseitigt. Kurz vor der Ent-
scheidung des Heiligen Krieges schlössen die Athener mit Philipp einen
Frieden, den sie auf den Rat des Demosthenes auch aufrecht erhielten,
als Philipp Wider Erwarten die Phocier vom Frieden ausschloß und sich in
den Besitz ihrer Stimmen im Amphikthonenrate setzte (346; s. oben).
Olynth war damals die bedeutendste Handelsstadt im Norden (s. S. 94) und
seit kurzem mit Athen verbündet.
Demosthenes' (383—322), der frühverwaiste Sohn eines Waffenfabrikanten,
hatte sich, zunächst um seine Vormünder wegen seines veruntreuten Erbes vor Gericht
zu ziehen, als Redner und Anwalt ausgebildet. Mit Uberwindung vieler Schwierig¬
keiten und Enttäuschungen brachte er es zur höchsten Vollkommenheit^in der !Bered¬
samkeit. Die Redekunst war seit den Zeiten des Penkles durch Antiphon den
Lehrer des Thucydides, durch Lysias, den Meister des schlichten Stils, Js Grates,
den Meister der Prunkrede, und Jsäu s, den Verfasser von Genchtsreden
worden. Die beiden letzteren waren Zeitgenossen und Vorbilder des DmioMenes.
In der Volksversammlung trat dieser seit 354 auf. Seme berühmtesten ^
drei Olynthischen, die Rede vom Frieden sowie die übrigen gegen Philipp gehaltenen
Reden, ferner die Kranzrede (f. S. 112).
1 Vgl. die Reichsacht in den Zeiten des alten Deutschen Reiches.
2 "-Vgl. die meisterhafte Porträtstatue des Demosthenes im Vatikan, wahrschem-
lich eilte Nachbildung des aus dem Markte zu Athen aufgestellten Standbildes.
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