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1. die römischen Gottheiten wurden den entsprechenden griechischen ähnlicher gedacht
und gestaltet, so der römische Liber (und Libera) dem griechischen Dionysos (und
der Persephone); 2 diejenigen griechischen Gottheiten, denen man keine römischen ver-
gleichen konnte, wurden neu eingeführt; dabei behielten sie entweder den griechischen
Namen, wie Apollo, oder sie erhielten einen römischen, wie Hermes, der Gott des
Handels und Wandels, der von den Römern Mercurius (v. merx) umgenannt
wurde. So geboten die von Tarqninius Superbus angekauften (griechisch geschriebenen)
Sibyllinischen Bücher geradezu die Einführung fremder Gottheiten, wie der phrygischen
Magna Mater. In der Kaiserzeit vollends wurden auch orientalische und kel-
tische Gottheiten von den Römern verehrt, wie die ägyptische Isis, der persische
Mithras, die gallischen „Mütter".
B. Die Verehrung der Götter. Die Gottesfurcht war ein
Grundzug des römischen Wesens. Der Römer fühlte sich an die Gottheit
gebunden, von ihr abhängig; durch genaue Ausübung heiliger Gebräuche
glaubte er sich ihrer Gunst und ihres Rates versichern zu müssen'.
I. Die heiligen Gebräuche (Zeremonien2).
a) Gebete. Alle einigermaßen wichtigen Handlungen begann der
Römer mit Gebet. Während der Grieche zur Gottheit aufblickte und die
Hände gen Himmel ausstreckte^, verhüllte der Römer das Haupt.
b) Opfer. Auch bei den Römern verschwanden die Menschenopfer früh
und wurden dnrch Tieropser ersetzt. Nur die Selbstopferung einzelner kam
auch fpäter vor (Curtius f. § 26; die Decier f. § 28).
Die Abschaffung der Menschenopfer wurde dem König Numa zugeschrieben
(vgl. S. 38); doch kehrte man in der Zeit der Pnnischen Kriege noch einmal zu
diesem grausamen Aberglauben zurück: nach der Schlacht bei Cannä wurden ein
Gallier und eine Gallierin, ein Grieche und eine Griechin auf Befehl des Senates
lebendig begraben. — In dem ver sacrum trat an die Stelle des Opferns die Aus-
Wanderung der Jugend eines Jahrgangs (vgl. das Gedicht von Uhland).
Ein besonders feierliches Opfer, Snovetanrilien4, wurde im Namen des Se-
nates zur Sühnung des ganzen Volkes dargebracht.
c) Feste. Auch die zahlreichen Feste der Römer, die Spiele, die
Triumphe und die öffentlichen Vitt- und Danktage (supplicationes) zählten
zu den gottesdienstlichen Handlungen.
1 Religio v. relegere wiederlesen, gewissenhaft bedenken. *D«fj bei den
Römern das ganze öffentliche und private Leben durch gottesdienstliche Gebräuche
zusammengehalten wurde, fiel auch dem griechischen Geschichtschreiber Polybins,
dem Zeitgenossen des jüngeren Scipio (146) auf (VI, 56): xcct [*ot. öoxei zö naga
tois aAÄotg ävd~Q(hnoig dveiSi^öfievov; zovzo avve%eiv zä 'Pojftaimv Tzgay/taza,
Äeyo) 6h zi\v SeiaiSaifiovCav. Polybius geht aber von der späteren Zeit aus, wenn er
meint, die römischen Staatsmänner wollten dadurch nur die Menge im Zaum halten;
vielmehr beruhte die Gottesfurcht der alten Römer auf dem angeborenen Gefühl der
-eigenen Unzulänglichkeit.
2 Caerimonia, ein etruskisches Wort, vgl. Caere.
3 *Vgl. die schöne Statue des betenden Knaben im Museum zu Berlin.
4 v. sus, ovis und taurus.