Full text: Deutsche Geschichte für die mittleren Klassen (Teil 2)

310 Das Zeitalter der Zerstörung des alten und der Entstehung des neuen Reichs. 
Privatunterricht. Dann bezog er zusammen mit seinem jüngeren 
Bruder, dem Prinzen Heinrich, das Gymnasium zu Kassel. 
Hier brachte er 2x/2 Jahre zu; die Prinzen bewohnten das Schloß 
Wilhelmshöhe. Zu Beginn des Jahres 1877 bestand er das Abi- 
turientenexamen. Wenige Tage darauf wurde er an seinem acht- 
zehnten Geburtstage für großjährig erklärt und von dem Kaiser, 
seinem Großvater, mit dem hohen Orden vom schwarzen Adler in- 
vestiert. 
Darauf trat der Prinz, der nach altem Brauch der preußischen 
Königsfamilie bereits seit Vollendung des zehnten Lebensjahres der 
Armee angehörte, als Oberleutnant bei dem ersten Garderegiment 
zu Fuß ein. Doch unterbrach er seine militärische Ausbildung im 
Herbst 1877, indem er die Universität Bonn bezog. Hier weilte 
er zwei Jahre und trieb juristische, volkswirtschaftliche und gefchicht- 
liche Studien. Im Jahre 1880 verlobte er sich mit der Prinzessin 
Auguste Viktoria von Schleswig-Holstein-Sonderburg- 
Augustenburg, der Tochter des Herzogs von Augustenburg, der als 
Erbprinz im Jahre 1863 Erbansprüche auf die Elbherzogtümer er- 
hoben, sich aber nicht mit Preußen hatte einigen können. Am 27. Fe¬ 
bruar 1881 fand die Vermählung statt. Am 6. Mai 1882 wurde dem 
hohen Paare der erste Knabe geboren, Wilhelm, der jetzige Krön- 
Prinz. Unterdessen war der Prinz eifrig bemüht, sich mit allen 
Zweigen des Heeresdienstes vertraut zu machen. Sein kaiser- 
licher Großvater kommandierte ihn zur Dienstleistung bei den ver- 
schiedenen Waffengattungen; längere Zeit führte Prinz Wilhelm das 
Gardehusarenregiment. Gleichzeitig wurde er unter Anleitung des 
Oberpräsidenten der Provinz Brandenburg in die Z i v i l v e r w a l- 
tung eingeführt. Er residierte zu dieser Zeit in Potsdam, teils im 
Stadtschloß, teils im Marmorpalais. 
e Als er nunmehr die Regierung übernahm, war er entschlossen, 
das große Erbe, das ihm seine Väter hinterlassen hatten, zu wahren, 
„ein treuer Fürst eines treuen Volkes zu sein", mit seiner Armee 
„unauflöslich zusammenzuhalten, möge nach Gottes Willen Friede 
oder Sturm sein", und „für die Ehre der deutschen Flagge ein- 
zustehen, wo es immer sei"; zugleich aber ein friedliches Regiment 
zu führen, „um in friedlicher Arbeit zu wahren und zu festigen, 
was kämpfend erstritten wurde". Es war ein denkwürdiges Schau- 
spiel, wie sich am Tage der Eröffnung des Reichstages die 
Bundesfürsten oder ihre Thronfolger, 22 an der Zahl, um ihn 
scharten, unter ihnen König Albert von Sachsen, Prinzregent Luit- 
pold von Bayern, Großherzog Friedrich von Baden und der damalige 
Kronprinz, jetzige König Wilhelm von Württemberg. 
Fürst Bismarck blieb zunächst Kanzler des Reichs; dann 
traten Meinungsverschiedenheiten zwischen dem Kaiser und ihm ein,
	        
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