Full text: Deutsche Sagen und Geschichten aus dem Mittelalter (Teil 2)

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Höder ? um mich her ist Nacht, Nacht vor mir, Nacht 
hinter mir.“ „Hier hast du einen Wurfger,“ sprach 
der Versucher, indem er ihm die Mistel reichte, „ich 
will dir die Richtung geben, du schleudre mit Macht.“ 
Höder that nach der Weisung, und der Brudermord 
war vollbracht; vom Speere getroffen lag Balder am 
Boden, sein Blut strömte über die Erde. Sprachlos 
standen die Götter und vermochten das Ungeheure nicht 
zu fassen; dann umdrängten sie die Leiche des Ge¬ 
liebten und mischten ihre Thränen mit dem Blute, das 
wie Abendrot leuchtete. 
2. Endlich nahm die Mutter der Götter das Wort. 
„Der Liebste unter euch allen,“ sprach sie, „sollte mir 
der sein, der zu Hels Wohnung reiten wollte, um zu 
versuchen, ob sie Lösegeld nehmen und den Gott wieder 
heimkehren liefse zu den Seinen.“ Da erbot sich H e r- 
mod, ein anderer Bruder Balders, die Fahrt zu unter¬ 
nehmen; eiligst bestieg er seines Vaters windschnelles- 
Ross und ritt von dannen. Inzwischen nahmen die 
Götter auf Wodans Geheifs den Leichnam und brachten 
ihn ans Meer, um ihn auf dem Schiffe des Toten zu 
bestatten. Ein Holzstofs wurde auf demselben aufge¬ 
türmt für den Leichenbrand. Noch stand Balders Ge¬ 
mahlin, die blühende Nanna, bei dem verblichenen Ge¬ 
liebten; sie hatte keine Thränen mehr, um zu weinen, 
nur ihr Schluchzen verriet den Schmerz, der ihre Seele 
erfüllte. Als aber die Fackel aufleuchtete, die den 
Holzstofs entzünden sollte, da brach ihr das Herz vor 
Jammer, und sie sank bleich und leblos neben der Leiche 
nieder. Da legten die trauernden Götter auch sie auf 
den Holzstofs, dazu das edle Rofs des Gottes, das mit 
dem Gebieter sterben mufste. Bald loderten die Flam-
	        
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