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schäfte zu stellen. Stein wollte einen kräftigen sittlichen und religiösen
Geist und eine rege Teilnahme am öffentlichen Wohl im ganzen
Volk wecken. Dazu sollten die Lasten, die auf einzelnen Ständen
lagen, ihnen abgenommen und das Volk zur Teilnahme an den
öffentlichen Geschäften herangezogen werden. In diesem Sinn führte
er eine Reihe von Reformen ein, er hob die Erb Untertänigkeit, eine
mildere Art Leibeigenschaft, die auf dem Bauernstand noch lastete,
auf, führte Gewerbefreiheit ein, gab eine Städteordnung, nach der
ein Magistrat und eine von der ganzen Bürgerschaft gewählte Stadt-
verordnetenversammlnng die Verwaltung der Städte leiten sollten.
Noch weiter gingen seine Gedanken: in den einzelnen Provinzen
sollten Provinzialstände eingeführt werden; Reichsstände sollten das
Ganze abschließen. Stein hatte nicht die Zeit, seine Pläne anszu-
führen. Als er wegen eines unvorsichtigen Briefes, der den Fran-
zosen in die Hände gefallen war, sein Amt niederlegen mußte
(le nomme Stein wurde von Napoleon geächtet), folgte ihm Har¬
denberg, der in gleichem Sinne den Staat leitete. Der Zunft-
zwang wurde durch ihn aufgehoben, die Befreiung des Bauern-
standes durchgeführt. (Stein flüchtete nach Österreich, dann nach
St. Petersburg, wo er die Zeit der Befreiung abwartete. Nach
den Freiheitskriegen ist er nicht mehr Minister geworden, f 1831.
Auf seinem Denkmal auf dem Hügel, der die Burg Nassau trägt,
heißt er „Des Rechtes Grundstein, dem Unrecht ein Eckstein,
der Deutschen Edelstein".) 2) Zugleich wurde das Heerwesen gänz-
lieh umgestaltet, vor allem durch den geistvollen Scharnhorst. Ger-
hard David Scharnhorst, geb. 1755 als Sohn eines Bauern
in Hannover, hatte auf der Kriegsschule in Bückeburg seine Aus-
bildnng erhalten und war 1807 schon Generalmajor. Er war schlicht
und anspruchslos im Äußern, ein durchaus gediegener, ruhiger,
beharrlicher, von Selbstsucht völlig freier Charakter und ein Mann
von glänzender Begabung. Er führte die allgemeine Wehrpflicht
ein, und wenngleich dem preußischen Staat nur ein Heer von
42 000 Mann gestattet war, so gelang es ihm doch durch baldige
Entlassung der einexerzierten Soldaten und Einberufung anderer
in aller Stille ein großes Heer auszubilden. Eine Reihe trefflicher
Generale wie Blücher und Gueiseuau standen ihm zur Seite. 3) Im
Volke arbeiteten hervorragende Männer durch Wort und Schrift
an der Weckung patriotischer Gesinnung; so der treffliche Ernst
Moritz Arndt, eigentlich ein Untertan der schwedischen Krone,
aus der Insel Rügen stammend, aber ein urdeutscher Manu, durch
seine kernhaften Schriften und Lieder, der Philosoph Fichte durch
seine „Reden an die deutsche Nation", der große Theologe Schleier-
macher durch seine Predigten. Die zwei letzteren wirkten an der
mitten in der trüben Zeit (1810) gegründeten Universität Berlin.
Auch der alte Turnvater Jahn wollte seine Turner zugleich zu