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6. Preußens Erhebung. Während so Preußen um die Hälfte
seines Gebiets verkleinert und auch in der nächsten Zeit durch uu-
erschwingliche Kontributionen noch geflissentlich ruiniert wurde, be-
gauu im Innern eine Wiedergeburt des Volkes. An die Stelle der
Leichtfertigkeit trat größerer Ernst; unter dem furchtbaren Druck
lernte man wieder nach Gott fragen.
a. Dem Volke voran ging das Königshaus. Es teilte mit
dem Volke das Unglück. Der Hofstaat wurde aufs äußerste einge-
schränkt. Die Königin, die Napoleon während des Kriegs in nn-
edler Weise gegen die Wahrheit als Urheberin des Krieges geschmäht
hatte, verlor auch in diesen Tagen der Erniedrigung die Hoffnung
nicht und stand ihrem Gemahl stärkend und aufrichtend zur Seite.
In einem ihrer schönen Briefe schrieb sie ihrem Vater unter anderem:
„Wir sind eingeschlafen aus den Lorbeeren Friedrichs des
Großen, welcher, der Herr des Jahrhunderts, eine neue Zeit schuf.
Wir sind mit derselben nicht fortgeschritten, deshalb überflügelt sie
uns — das stehet niemand klarer als der König . . . Gewiß wird
es besser werden: das verbürgt der Glaube an das vollkommenste
Wesen. Aber es kann nur gut werden in der Welt durch die
Guten. Deshalb glaube ich auch nicht, daß der Kaiser Napoleon
Bonaparte fest und sicher auf seinem jetzt freilich glänzenden Throne
ist . . . Er ist von feinem Glück geblendet und er meint alles zu
vermögen. Dabei ist er ohne alle Mäßigung, und wer nicht Maß
halten kann, verliert das Gleichgewicht und fällt. Ich glaube fest
an Gott, also auch an eine sittliche Weltordnung. Diese sehe ich
in der Herrschaft der Gewalt nicht, deshalb bin ich der Hoffnung,
daß auf die jetzige böse Zeit eine bessere folgen wird. Ganz un-
verkennbar ist alles, was geschehen ist und geschieht, nicht das
Letzte und Gute, wie es werden und bleiben soll, sondern nur die
Bahnung des Weges zu einem besseren Ziele hin. Dieses Ziel
scheint aber in weiter Entfernung zu liegen, wir werden es wahr-
scheinlich nicht erreicht sehen und darüber hinsterben. Wie Gott
will, alles, wie er will. Aber ich finde Trost, Kraft, Mut und
Heiterkeit in dieser Hoffnung, die „tief in meiner Seele liegt. Ist
doch alles in der Welt nur Übergang! Wir müssen durch.
Sorgen wir nur dafür, daß wir mit jedem Tage reifer und bester
werden."
b. Der König fand jetzt auch die rechten Männer, die mit ihm
zusammenarbeiteten, die Schäden des Volkslebens zu verbessern.
1) Allen voran der Reichsfreiherr vom Stein, ein Mann von
scharfem Verstand und trefflichem Charakter, voll Gottesfurcht und
darum ohne jede Menschensurcht, ein grimmiger Feind Napoleons.
Geboren 1757 in Nassau als der Sohn eines reichssreiherrlichen
Hauses war er nach gründlichen Studien in preußische Dienste ge¬
treten und schon vor dem Krieg Minister geworden. Aber erst
nach dem Tilsiter Frieden entschloß sich der König, den gewaltigen
Mann zum ersten Minister zu machen und an die Spitze der Ge-