Full text: Deutsche und brandenburgisch-preußische Geschichte von 1648 bis 1815 (Teil 2)

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Vom Großen Kurfürsten bis zum Tode Friedrichs des Großen. 
3. Durch seine Mitwirkung bei der ersten Teilung Polens (1772) 
erwarb Friedrich der Große seinem Staate den unentbehrlichen Besitz West- 
preußens. 
a. Die Ursachen für den mit der ersten Teilung Polens beginnenden 
Untergang dieses Reiches sind in der sittlichen Entartung und in der 
politischen Unfähigkeit des polnischen Volkes zu suchen. 
«. „Schon lange schwebte das Schicksal der Auflösung über polen und 
war auf die Dauer kaum abzuwenden. Ls schien dies Land zum warnenden Beispiel 
ausersehen, wohin die ungezügelte Herrschaft von Junkern und Priestern ein Volk 
führen muß. Lange, bevor die treulose Politik der Nachbarn dort gewaltsam in die 
Dinge eingriff, war das endliche Los dieser zerrütteten Staatsverbindung mit Sicher¬ 
heit vorauszusehen: erlag sie nicht einem feindseligen Stoße von außen, so mußte sie 
an dem Prozesse innerer Zersetzung zugrunde gehen, den der Mangel aller gesunden 
gesellschaftlichen Bildung und jeder staatlichen Grganisation langsam, aber sicher vor¬ 
bereitete. Ein Volk von Sklaven, tumultarisch geleitet von einer leichtfertigen und 
abenteuernden Aristokratie, in welcher sich die Untugenden der Bqxbarei mit Lastern 
der Zivilisation verschmolzen, rohes Sarmatentum und überfeines, verfaulendes Fran- 
zosentum aneinandergeklebt, das alles unter einer sogenannten Verfassung, welche die 
Anarchie der Einzelwillkür, die Gedanken- und Gesetzesverwirrung auf den Thron 
erhob, wer wollte von diesem unheilvollen wüste eine gedeihliche Entwicklung er¬ 
warten? Zumal wenn die Masse des Volkes nicht nur aller Erziehung, sondern 
selbst des Bildungsbedürfnisses entbehrte, wenn sie ohne blühenden und freien Land¬ 
bau, ohne Schiffahrt und Handel, von Adligen, Pfaffen und Juden um die Wette 
ausgepreßt und im Schmutze fast erstarrt, dahinvegetierteI Lin solches Volk, das 
gegen westen an die mächtigsten und kultiviertesten Staaten des Erdbodens grenzte, 
nach Vsten von einem zwar noch barbarischen Reiche berührt ward, dessen Macht 
aber in einer Hand vereinigt war, konnte inmitten dieser andringenden Gegensätze 
auf die Dauer ein unabhängiges Leben nicht behaupten." (Häußer, Deutsche Geschichte 
vom Tode Friedrichs des Großen bis zur Gründung des Deutschen Bundes. I. Bd.) 
ß. Die politische Unfähigkeit des polnischen Volkes bekundete sich am deutlichsten 
in seiner Verfassung («Organisation des Reichstages, Liberum veto, Machtlosigkeit 
des Königtums). 
b. Die Veranlassung zur ersten Teilung Polens ergab sich aus 
dem gewaltsamen Eingreifen Rußlands in die inneren Verhältnisse des polnischen 
Reiches und aus der Eifersucht Österreichs und Preußens auf die Erfolge 
Rußlands in der Türkei. 
ct. vor der Königswahl von standen sich in polen zwei Parteien 
gegenüber, von denen die eine (potocki, Radziwill, Branicki) die Wahl eines sächsischen, 
die andere (Lzartoryski) die eines einheimischen Großen durchsetzen wollte; Rußland 
erzwang im Anschluß an die letztere die Wahl poniatowskis und suchte alle 
Reformbestrebungen zu Hintertreiben. 
ß. Als die Bitte der Dissidenten (Protestanten, Sozinianer und (Orthodoxe) um 
Gleichberechtigung mit den Katholiken vom polnischen Reichstage auf Betreiben des 
Klerus abgelehnt wurde, bildeten diese Dissidenten und ihre Freunde unter dem Schutze 
des russischen Gesandten (Repnin) die Konföderation von Radom, um sich die An¬ 
erkennung ihrer Gleichberechtigung zu erstreiten, was ihnen mit russischer Hilfe und 
der Mitwirkung Poniatowskis auch gelang. Gleichzeitig erzwang Rußland (durch 
Heeresmacht) einen Beschluß des Reichstages, nach welchem das Liberum veto bei- 
behalten werden und jeder Reichstagsbeschluß der Bestätigung der Kaiserin von Ru߬ 
land bedürfen sollte. 
Gegen den König und zur Beseitigung des russischen Einflusses trat jetzt die 
Konföderation von Bar in die Schranken, deren Truppen von den Russen aber er¬ 
folgreich bekämpft wurden.
	        
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