Full text: Deutsche, vornehmlich brandenburgisch-preußische Geschichte bis 1815 (Teil 2)

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Treffen war bald geschlagen. Noch gelang es mehreren Offizieren, die schwachen 
Trümmer ihrer Truppen während einer Zeit zum Stehen zu bringen und durch 
Wort und Beispiel den einreißenden Schrecken zu bekämpfen. Einzelne Abteilungen 
gingen wieder vor und leisteten der vordringenden feindlichen Kavallerie Wider- 
stand. Neben Furchtsamen, Feigen und Pflichtvergessenen gab es von allen 
Graden der Braven in Menge,. welche die Schande der Flucht nicht ertragen 
konnten. Mein Auge sah solche, die, in der einen Hand das Gewehr, in der 
andern den Säbel, die Flüchtigen aufhielten, bis sie ereilt und zusammen- 
gehauen wurden. Die Franzosen benutzten ihren Sieg und rückten immer weiter 
gegen Kapellendorf vor; es war daher an kein Halten diesseits des Ortes mehr 
zu denken, und so eilte alles, was nicht abgeschnitten, niedergehauen oder ge- 
fangen werden wollte; dem unglückseligen Hohlweg wieder zu. Die feindliche 
Kavallerie spielte hier ihre Hauptrolle und saß den Fliehenden so auf den Hacken, 
daß ein großer Teil jener, die nicht dem Hauptstrome zum Eingange des Dorfes 
folgten, sondern dieses rechts und links umgehen wollten, von ihr ereilt wurde. 
Vom Strudel fortgerissen, zu Pferde, entging ich mit Mühe diesem Lose, 
rettete eine Fahne des Regiments, die ich einem Junker entriß, der nicht mehr 
fortkonnte, und erreichte so, wenn ich das als ein Glück betrachten darf, glücklich 
das offene Feld jenseits Kapellendorf. Unter dem Schutze eines hier haltenden 
sächsischen roten Dragonerregiments gelang es mir, mit Unterstützung mehrerer 
Offiziere eine große Menge Leute von allen Regimentern des Armeekorps bei 
meiner Fahne zu sammeln. Der Haufen wuchs bald auf 400 bis 500 Mann, da 
alle noch durch das Dorf kommenden Flüchtlinge nicht mehr von der Kavallerie 
durchgelassen und mit Güte oder Gewalt gezwungen wurden, sich anzuschließen. 
Ein großer Teil dieser Unglücklichen und ich selbst betrachteten es als ein Glück, 
wieder einen Anhalt gefunden zu haben und einem geschlossenen Trupp an- 
zugehören. Ich war daher mit Hilfe einiger Offiziere und Unteroffiziere vom 
Regiment, die sich sehr tätig zeigten, bemüht, Ordnung in die Masse zu bringen, 
allein die Freude dauerte nicht lange. Als der Feind die letzten jenseitigen 
Truppen in die Enge von Kapellendorf hineingeworfen hatte, fing er an, den 
Ort mit Granaten zu beschießen, von denen einige in das sächsische Kavallerie- 
regiment und in meinen Trupp einschlugen. Dies veranlaßte bei meinem lockeren 
Haufen sowohl als unter den Dragonern einige Unruhe; unsere entmutigten Sol¬ 
daten vermochten dergleichen nicht mehr zu ertragen. Gleichzeitig sahen sie 
Hunderte von Flüchtlingen durchs Dorf kommen, die sich weder durch Worte 
noch mit Gewalt mehr aufhalten ließen, fondern durch schnelle Flucht ein sicheres 
Los zu wählen glaubten, als hier die Braven zu spielen. Gründe genug, um die 
lockeren Bande meiner Schar zu sprengen. Dieser Augenblick war nicht fern; denn 
als das Dragonerregiment für gut fand, Kehrt zu machen und abzumarschieren, 
was keineswegs im Schritt geschah, und auch noch Granaten einschlugen, da 
schrieen einige: „Die Reiterei läßt uns im Stich! Der Feind umgeht das Dorf!" 
und alles stob wie Spreu auseinander. Ohne Truppen war für mich auch keine 
Zeit mehr zu verlieren; einzelne feindliche Kavallerietrupps hatten inzwischen das 
Dorf umgangen, und so folgte ich denn der Spur der heillosen Flucht nach 
Weimar. Die gerettete Fahne des Regiments hatte ich einem tüchtigen Unter¬ 
offizier gegeben, der sie glücklich nach Magdeburg brachte; sie befand sich später 
bei dem wieder gesammelten Reste des Regiments und ging erst bei Lübeck ver- 
Loren. 
SB. u. O. Heinze-Kinghorst, Quellenlesebuch, n. 11
	        
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