Full text: Alte Geschichte (Teil 1)

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Während des letzten Bürgerkrieges, wo Dörfer sich gegen Städte 
erhoben und in Transsilvanien allein 1100 Städte und Weiler nie¬ 
dergebrannt wurden, hingen die Zigeunerbanden gleich Geiern an 
den • Ueberbleibseln. 
Die Abneigung einiger Völkerschaften gegen sie drückt sich leb¬ 
haft in Volkserzählungen und Liedern aus. In denen der Serbier 
und Magsiaren werden die Zigeuner nur mit Verachtung erwähnt. 
Die stolzen Ungarn halten sie "für zu gering, als daß sie sie unter¬ 
drücken sollten. Was sie auch immer begehen mögen, man verachtet 
sie wegen ihrer grenzenlosen Nichtswürdigkeit. Vor der neuen Re¬ 
form waren der Adel und die Zigeuner die einzigen beiden Klassen, 
welche nicht besteuert waren, da die ersteren über, die letzteren unter 
dem Gesetz standen. Für den Zigeuner gabs weder ein Gesetz, noch 
eine Rechtshilfe, wenn ihm auch das größte Unrecht geschehen war, 
da man ihn als einen Geächteten betrachtete. Auch in der Türkei 
wird ein Zigeunerpostillon oder Courier oft erschossen oder erschlagen, 
mit oder ohne Recht, ohne daß der Mörder verfolgt wird, denn 
»es ist nur ein Zigeuner«. 
Die Ziegeuner scheinen in der That das einzige Volk ohne alle 
religiöse Gefüble zu sein. Der Tod ist ihnen nichts als ein ewiger 
Schlummer. Und doch sind sie für ihre Begräbnisse besorgt, und 
lassen ihre Kinder taufen. Oft wiederholen sie diese Ceremonie wohl 
zwölf Mal, um recht oft Pathengeschenke zu erhalten. In jeder 
Lage zeigen sie sich als wirkliche Heiden, und wenn sie Kummer zum 
Beten treibt, so weicht dieses Bedürfniß mit dem Kummer. 
»Ein Zigeuner«, sagt eine Erzählung, »fuhr einst mit seinem 
Karren, der mit seiner ganzen Fauülie und Gütern beladen war, auf 
einem schmalen Wege bis an die Axe im Schmutz. Langsam und 
schwerfällig drehten sich die Räder, bis sie endlich ganz in's Stocken 
geriethen. Das Pferd zog, der Mann peitschte es und schwor und 
fluchte, wie nur ein Zigeuner schwören und fluchen kann. Alles 
war vergebens, der Wagen blieb unbeweglich. Beim letzten furcht¬ 
baren Peitschenhiebe sank das arme Thier in die Knie und fiel auf 
die Nase. Der Fall des Thieres richtete den Blick des Zigeuners 
himmelwärts, und in seiner Noth rief er beständig die heilige Jung¬ 
frau an. Obgleich er in seinem Leben nicht gebetet hatte, nahm er 
jetzt die Miene eines Betenden an und brauchte alle Worte, die er 
von Christen gehört hatte. »Hilf, heilige Jungfrau, hilf, und ich 
will Dir eine Kerze schenken, so dick wie mein Leib!« Das Pferd 
hatte sich inzwischen einen Augenblick erholt, und beim nächsten 
Peitschenhiebe bewegte sich der Karren ein paar Schritte weiter. 
Der Heide glaubte sich schon aus aller Noth, als er plötzlich wieder 
fest saß. Er fing sogleich wieder an zu beten. Da indeß der halbe 
Weg zurückgelegt und das Wachs theuer war, so gelobte er diesmal 
eine nur armdicke Kerze. Er hatte nicht Zeit, um Amen zu sagen,
	        
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