Full text: Geschichtliches Lesebuch

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welchen Bayern, Sachsen und Frankreich alsbald nach dem Tode des 
Kaisers die Provinzen des Hauses Österreich unfehlbar bedachten.“ 
Schon lange hatte Friedrich für den Fall, daß der Kaiser sterben werde, 
einen Plan fertig. Er wollte sofort angreifen, Schlesien besetzen. 
Seine Ratgeber waren freilich mit einem so kühnen Vorgehen nicht 
einverstanden. Sie wollten, daß der König zunächst mit Maria Theresia 
Unterhandlungen anknüpfen und ihr gegen die Abtretung Schlesiens 
seine Hilfe im bevorstehenden Erbfolgekriege Zusagen solle. Aber 
der König ließ sich nicht irre machen. Er hatte sich lange genug 
mit dem schwierigen Stoffe beschäftigt und war seiner Sache sicher. 
Die Lage Maria Theresias war außerordentlich gefährlich. Die 
Minister glaubten, dem Tode des Kaisers werde der Tod seiner Mon¬ 
archie auf dem Fuße folgen. Im Geiste sahen sie schon die Türken 
in Ungarn, die Sachsen in Böhmen, die Bayern vor den Toren Wiens. 
Auch das Volk glaubte nicht mehr an den Fortbestand des öster¬ 
reichisch-ungarischen Staates. Bei der Kunde von dem Tode des 
Kaisers rotteten sich die Bauern in der Nachbarschaft Wiens zu¬ 
sammen, jagten des Kaisers Wild auf ihren Äckern und hofften auf 
das Erscheinen des neuen Landesherrn, des Kurfürsten von Bayern. 
An den Straßenecken der Hauptstadt sogar las man meuterische An¬ 
schläge : „Vivat, der Kaiser ist tot. Wir bekommen jetzt großes Brot. 
Der Lothringer ist uns zu schlecht; der Bayer ist uns eben recht.“ (Der 
Gemahl Maria Theresias war Franz von Lothringen.) — Aber die 
Kaiserin verzagte nicht; sie glaubte, daß sie im Rechte sei, und dieser 
Glaube an ihr Recht verlieh ihr vom ersten Schritte an einen Schwung 
und eine Sicherheit des Auftretens, die ihre ganze Umgebung mit 
fortriß. Ihre stolze, sichere Haltung gab den Furchtsamen ein 
Beispiel und stärkte den Mut der Hoffenden. Mit einer Entschieden¬ 
heit ergriff Maria Theresia von der Regierungsgewalt Besitz, als 
wollte sie sagen: „Ich nehme, was mein ist; wehe dem, der es versucht, 
mich zu hindern; die Mittel, das meinige zu behaupten, werden sich 
schon finden.“ 
Was Regierung und Volk erwartet hatten, daß die Monarchie 
völlig auseinanderfallen würde, trat nicht ein. Freilich erwarb sich 
der Kurfürst von Bayern 1742 sogar die Kaiserkrone. Aber als er 
schon 1745 starb, schloß sein Sohn mit Maria Theresia Frieden. Er 
verzichtete auf seine österreichischen Erbansprüche und versprach, 
sich nicht um die Kaiserkrone zu bewerben, und die Kurfürsten 
wählten darauf den Gemahl Maria Theresias zum Kaiser. Maria 
Theresia ging daher als Siegerin aus dem Erbfolgekriege hervor. Sie 
konnte sich fortan Kaiserin nennen, und die deutschen und die ungar¬ 
ischen Teile der Monarchie blieben vereinigt. Schlesien aber ging 
ihr verloren. 
Im Dezember 1740 hatte Friedrich II. in einem frischen Anlaufe 
ganz Schlesien besetzt. Nach dem ersten Schrecken hatten sich die 
Österreicher jedoch aufgerafft, und nun galt es für Friedrich, den 
kühn errungenen Besitz in langjähriger blutiger Waffenarbeit zu 
behaupten. 
Im ganzen mußte er um den Besitz Schlesiens drei Kriege führen:
	        
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