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Aber auch damit war man noch nicht zufrieden; alles, was bis¬
her geschehen, waren nur Vorbereitungen gewesen, um die längst
geplante Erhebung gegen das Königtum auszuführen. Man hatte die
Absicht, am io. August einen Angriff auf das Königsschloß, die
Tuilerien, zu unternehmen und sich der Person des Königs zu be¬
mächtigen. Es rückten nun, nachdem von seiten der Truppen und
des Gemeinderates kein Widerstand mehr zu befürchten war, große
Scharen gegen die Tuilerien vor. Auf dem linken Ufer der Seine
setzten sich die Brester, die Marseiller und die Bataillone der Mar¬
cellusvorstadt in Bewegung, auf dem rechten Ufer die Bataillone der
Antoniusvorstadt; und unbehelligt marschierten sie dahin, als ob es
zu einer Parade ging. Ein Vortrab von Männern, Weibern und
Kindern, mit Piken, Knütteln und Messern bewaffnet, überschwemmte
den Schloßplatz, und gegen 8 Uhr kamen die ersten Züge der Soldaten
vor dem Schlosse an.
Es wäre dem König noch möglich gewesen, sich zu verteidigen
und vielleicht gar zu siegen. Denn in den Tuilerien lagen 950
Schweizer und 200 Edelleute, die bereit waren, ihn bis zum Tode zu
beschützen, und auch die 2—3000 Nationalgardisten, welche um das
Schloß herum verteilt standen, waren dem Könige ergeben.
Aber der König wollte nicht kämpfen. Er war von; Natur
menschenfreundlich und milde; er hatte sich nun schon jahrelang
gewöhnt, immer nachzugeben; er war fest entschlossen, den Ausbruch
des Bürgerkrieges zu verhüten, soweit das in seiner Macht lag. Jeder
Mensch, der so ungerecht und roh angegriffen wird, flammt auf. Aber
Ludwig dachte gar nicht daran, daß es seine Pflicht war, das Schwert
zu ziehen, daß er, wenn er sich preisgab, den Staat preisgab. Ebenso
wie der König dachte seine Umgebung; alle wollten nur ja ein Blut¬
vergießen vermeiden und versuchten, den König zu bestimmen, daß
er sich in den Schutz der Gesetzgebenden Versammlung zurückziehe.
„Sire, die Zeit vergeht; wir bitten um die Erlaubnis, Sie entführen
zu dürfen.“ Einige Minuten zögerte der Monarch; dann sagte er:
„Gehen wir, legen wir, da es nötig ist, auch dieses letzte Zeichen von
Ergebenheit an den Tag.“
Von seiner Familie und seinen Ministern begleitet, machte er
sich um halb neun Uhr auf den Weg in die Gesetzgebende Versamm¬
lung, um dort Schutz zu suchen. Als er in den Saal eintrat, sagte er:
„Ich bin hierher gekommen, um ein großes Verbrechen zu verhüten.“
Man wies ihm zunächst eine Schreiberloge im Saal an. Dort nahm er
mit seiner Familie Platz und mußte nun mit anhören, wie über den
Antrag beraten wurde, die königliche Gewalt einstweilig aufzuheben
und zur Feststellung einer neuen Verfassung einen Nationalkonvent
einzuberufen.
Die Tuilerien sah die königliche Familie nicht wieder.
sie aus dem Sitzungssaal der Legislative als Gefan"'
ein Gebäude, welches ehemals dem Temn1'-
dieses Gebäude sollten sie nicht w«''’
weg antraten.
Die SeptemK