60 Der Befreiungskrieg, 1813-1815.
Der^König berief den ausgezeichneten Staatsmann F-reiherrn von Stein an
die Spitze der Verwaltung: bald aber erschien dieser dem argwöhnischen Napoleon
so gefährlich, daß er ihn ächtete. Stein mußte fliehen; sein Nachfolger Harden¬
berg aber wirkte in Stein's SinNe weiter. Schon Ende des Jahres 1808 war
die Kriegslast abgetragen, und die preußischen Truppen zogen unter dem Jubel
der Bevölkerung in Berlin ein. Durch Aushebung der Gutsunterthänia-
fett wurde ein freier Bauernstand, durch Einführung der Städteordnuna em
freies Bürgertum geschaffen. Der Kriegsminister Scharnhorst wurde der
Waffenschmied der deutschen Freiheit durch Wehrhaftmachung des ganzen Volks •
die ausländische Werbung wurde abgeschafft; die ausgebildeten Mannschaften
wurden schnell mit neuen vertauscht, so daß nach wenigen Jahren 120,000 Mann
einexerzierte Leute im Lande waren. Edle Männer arbeiteten an der Hebung der
Schulen; in Berlin wurde 1810 eine Universität gegründet, an welcher Fichte
die Flamme der Begeisterung zu entzünden suchte. Auch andere, wie der Turn¬
vater Jahn und der Freiheitssänger Ärndt, vereinigten sich zum Tugend-
bunde und weckten die Geister für die Befreiung des Vaterlands. Alles trieb
einem neuen Ostermorgen entgegen. Zwei teure Augen schloffen sich, ehe die
Sonne der Freiheit erwachte. Die edle, unvergeßliche Königin Luise hatte an
allen Bestrebungen mit ganzer Seele Anteil genommen; doch die Leiden hatten
ihr Leben geknickt; sie starb am 19. Juli 1810 zu Hohenzieritz in Mecklenburg
Ihr Tod versetzte den schwergeprüften König und das ganze Land in die tiefste
Trauer. „Brandenburgisches Erntelied" von Fouque.
52. Der Befreiungskrieg, 1813—1815.
1 Der Zug nach Rußland, 1812. Der übermütige Korse wollte nun
auch Rußland niederwerfen. Im Frühjahre 1812 wälzte sich die ungeheure
Heeresmacht Napoleons, 610,000 Mann, von Westen nach Osten. Friedrich
Wilhelm mußte sich nicht nur den Durchgang dieser Truppen durch sein Land
gefallen laffen, sondern auch ein Hilfsheer von 20,000 Mann stellen. Die
Ruffen wichen, absichtlich keinen ernsten Widerstand leistend, vor der Uebermacht
zurück, indem sie hinter sich alles vernichteten, um dem Feinde nur eine Wüste
übrig zu lassen. Nur zweimal gab Alexander der Kampfeslust seiner Truppen
nach, bei Smolensk und Borodino; im September zog Napoleon in die alte
Zarenstadt ein. Die Einwohner hatten die Stadt verlassen; Moskau schien eine
Stadt der To^en zu sein. Der französische Kaiser bezog das Zarenschloß, den
Kreml Da steckten die Ruffen die Stadt in Brand; ein Sturmwind fachte
die Flammen an; mit Grausen sah Napolesn auf das Feuermeer; Kirchen und
Paläste sanken in Asche; selbst der Kreml war vom Feuer bedroht. Schleunigst
mußte die Stadt geräumt werden. Napoleon bot jetzt Frieden an; seine An¬
träge wurden zurückgewiesen. Es blieb ihm nichts weiter übrig, als den Rück¬
zug anzutreten. Man zog denselben Weg wie auf dem Hinmärsche durch eine
ausgehungerte, verwüstete Gegend. Dazu brach eine ungewöhnliche Kälte ein.
Tausende sanken vor Hunger, Erschöpfung und Kälte tot nieder. Kosacken und
Wölfe räumten den Nachzug auf. Geschütze und Munitionswagen blieben im
Schnee stecken; die Pferde starben vor Ermattung oder wurden von den hungern¬
den Soldaten verzehrt. Beim Uebergang über die Berefina nahm das rächende
Geschick seine gräßlichste Gestalt an. Die nachsetzenden Feinde feuerten mit Kar¬
tätschen in die dichten Haufen der an den Brücken sich drängenden Flüchtigen.
Die Brücken brachen. Tausende ertranken in den reißenden Fluten oder wurden
von den Rädern der Wagen und Kanonen zermalmt; die ganze französische
Armee löste sich auf. Der stolze Kaiser verließ jetzt heimlich den traurigen Rest
seiner großen Armee und eilte vermummt nach Paris. Etwa 20,000 hohläugige,
zerlumpte und bis zum Tode gebeugte Unglückliche erreichten den Niemen. Das
war das Ende des stolz begonnenen Zugs der großen Armee.
2. Das Volk steht auf. In den Eis- und Schneegefilden Rußlands hatte