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A. Epische Poesie. II. Idyllen. 
II. Idyllen. 
41. Der siebzigste Geburtstag. 
Von Johann Heinrich Voß. (1771.) 
Auf die Postille gebückt, zur Seite des wärmenden Ofens, 
Saß der redliche Tamm in dem Lehnstuhl, welcher mit Schnitzwerk 
Und braunnarbigem Jucht voll schwellender Haare geziert war: 
Tamm, seit vierzig Jahren in Stolp, dem gesegneten Freidorf, 
5 Organist, Schulmeister zugleich und ehrsamer Küster, 
Der fast allen im Dorf, bis auf wenige Greise der Vorzeit, 
Einst Taufwasser gereicht und Sitte gelehrt und Erkenntnis, 
Dann zur Trauung gespielt und hinweg schon manchen gesungen. 
Oft nun faltend die Händ' und oft mit lauterem Murmeln 
10 Las er die tröstenden Sprüch' und Ermahnungen. Aber allmählich 
Starrte sein Blick, und er sank in erquickenden Mittagsschlummer. 
Festlich prangte der Greis in gestreifter, kalmankener Jacke; 
Und bei entglittener Brill' und silberfarbenem Haupthaar 
Lag auf dem Buche die Mütze von violettenem Sammet, 
15 Mit Fuchspelze verbrämt und geschmückt mit goldener Troddel. 
Denn er feierte heute den siebzigsten frohen Geburtstag, 
Froh des erlebeten Heils. Sein einziger Sohn Zacharias, 
Welcher als Kind auf dem Schemel geprediget und, von dem Pfarrer 
Ausersehn für die Kirche, mit Not vollendet die Laufbahn 
20 Durch die lateinische Schul' und die teuere Akademie durch, 
Der war jetzt einhellig erwähleter Pfarrer in Merlitz 
Und seit kurzem vermählt mit der wirtlichen Tochter des Vorfahrs. 
Fernher hatte der Sohn zur Verherrlichung seines Geburtstags 
Edeln Tobak mit der Fracht und stärkende Weine gesendet, 
25 Auch in dem Briefe gelobt, er selbst und die freundliche Gattin, 
Hemmeten nicht Hohlweg' und verschneiete Gründe die Durchfahrt, 
Sicherlich kämen sie beide, das Fest mit dem Vater zu feiern 
Und zu empfahn den Segen von ihm und der würdigen Mutter. 
Eine versiegelte Flasche mit Rheinwein hatte der Vater 
30 Froh sich gespendet zum Mahl und mit Mütterchen auf die Gesundheil 
Ihres Sohns Zacharias geklingt und der freundlichen Gattin, 
Die sie so gern noch sähen und Töchterchen nennten und bald auch 
Mütterchen, ach! an der Wiege der Enkelin oder des Enkels. 
Viel noch sprachen sie fort von Tagen des Grams und der Tröstung,
	        
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