Full text: Deutsche Landes- und Provinzialgeschichte

56 Königreich Preußen. [g 
[tätigt, welche mit dem nördlich dieses Flusses abgetretenen Ge¬ 
biete zum preußischen „Netzedistrikt" zusammengefaßt wurden. 
Er bildet den Grundbestandteil unserer Provinz; 
bis zum Jahre 1 807 gehörte er zur Provinz West- 
preußen. Sein Rauminhalt betrug 132 OMeilen mit 
84 000 Einwohnern, während das ganze erworbene Gebiet 
900 000 Seelen zählte. 
7. Der Zustand von Land und Leuten. Das erworbene 
Land befand sich in schrecklich verwahrlostem Zustande. Die sog. 
Städte waren nichts weiter als große Dörfer; nur die not¬ 
wendigsten Gewerbe betrieb man. Die Marktplätze und Gassen 
lagen verödet; überall erblickte man die Trümmer von einge¬ 
stürzten und verbrannten Häusern. Bromberg, das einst im 
Mittelalter so mächtig war, und unter preußischer Herrschaft 
schnell wieder emporblühte, zählte damals kaum 500 (jetzt 41000) 
Einwohner. Die Häuser hatten Schindeldächer; die Straßen 
waren fußhoch mit Schutt und Unrat bedeckt. Noch trauriger 
sah es auf dem flachen Lande aus. „Bei dem Anblick eines 
gemeinen polnischen Bauern," sagt ein officieller Bericht aus 
jener Zeit, „glaubt man einen Menschen zu erblicken, welcher 
eben erst aus dem Zustande der Barbarei heraustritt und den 
ersten Schritt zur Kultur beginnt. Selten trägt er ein Hemde; 
und wenn er eins hat, so legt er es selten eher ab, als bis die 
höchste Unsauberkeit und das Ungeziefer ihn dazu nötigen, deren 
Unbequemlichkeit er kaum empfindet." An einer anderen Stelle 
heißt es: „Der Edelmann und der Jude sind eine wahre Geisel 
der Bauern gewesen. Niedergedrückt durch sklavische Behandlung, 
durch tausendfache Not zur Verzweiflung gebracht, nahm der 
Bauer feine Zuflucht zum Branntwein, der nirgends so häufig 
und so schlecht getrunken wird wie in Polen. Durch die Ver¬ 
achtung von feiten feiner unmittelbaren Oberen, durch die Mi߬ 
handlungen feiner Vorgesetzten niedergedrückt, zeichnet sich der 
gemeine Pole durch eine kriechende Demut gegen Vornehme aus. 
Er beugt sich zur Erde, küßt ihnen den Saum ihres Kleides 
und redet nicht anders als fußfällig mit ihnen." Diesem Zu¬ 
stand entsprach auch die Bodenkultur. Große Strecken, die bei 
geringer Mühe die reichsten Ernten hätten bringen können, lagen 
öde und unbebaut. Die Wälder glichen großen Brüchen. An 
ihre Pflege war um so weniger zu denken, als das Holz da¬ 
mals aus Mangel an Absatzgebieten völlig wertlos war. Und 
wer möchte sich auch über diesen Zustand wundern, wenn er 
bedenkt, daß der Bauer, welcher ohne Erbrecht auf feinen Gütern 
faß, verpflichtet war, eine beliebige andere Hofstelle anzunehmen, 
sobald es der Gutsherr gebot? Natürlich wurden gerade die
	        
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