280 Joseph ü. — Der nordamerikanische Freiheitskrieg: Veranlassung.
ihm bei einer Zusammenkunft in Neiße: „Für uns giebt es kein Schlesien
mehr," worauf Friedrich antwortete: „Ich denke, wir Deutsche haben
lange genug unser Blut untereinander vergossen; es ist ein Jammer, daß
wir nicht zu einem besseren Verständnis kommen." Arm in Arm sah
man die beiden Fürsten lustwandeln wie Vater und Sohn.
Sobald Joseph nach dem Tode seiner Mutter Alleinherrscher war,
ging er mit großem Eifer, aber nicht immer mit der nötigen Besonnen¬
heit daran, die kirchlichen und bürgerlichen Verhältnisse Österreichs umzu¬
gestalten. Er gewährte den Gliedern der evangelischen Kirche gleiche
Rechte mit den Katholiken, hob ein Drittel aller Klöster Österreichs auf,
ließ die Bibel in die Landessprache übersetzen und führte deutsche Kirchen¬
lieder ein. Die Leibeigenschaft wurde aufgehoben; Adelige und 'Geistliche
verloren ihre Steuerfreiheit, und die Rechtspflege sollte fortan ohne An¬
sehen der Person geübt werden. Durch diese Neuerungen erbitterte der
Kaiser die Adeligen und die Geistlichen; aber auch das gewöhnliche Volk
wußte die edle Absicht des Kaisers nicht zu würdigen. In Ungarn und
den Niederlanden kam es sogar zu offenem Widerstände. Solche trübe
Erfahrungen brachen dem Kaiser das Herz. (1790.) Seine letzten Worte
waren: „Meine Absichten waren rein; aber ich habe das Unglück gehabt,
alle meine Pläne scheitern zu sehen."
38. Zrvei außerdeutsche Staatsurnrviilzunzen.
1) Per nordamerikanische Areiheitskrieg; 1775—1783.
a. Veranlassung. Seitdem unter der Königin Elisabeth in Virginien
(virgo = Jungfrau) die ersten Engländer in Nordamerika sich niederge¬
lassen halten, waren dort bis zur Mitte des vorigen Jahrhunderts viele
englische Ansiedelungen aufgeblüht. 13 Staaten hatten sich gebildet; jeder
stand unter einem von der englischen Regierung ernannten Statthalter.
Im Kampfe mit den Indianern oder den Nachbarkolonien anderer euro¬
päischer Völker hatten diese Kolonisten ihre Kräfte geübt; als England
zur Zeit des siebenjährigen Krieges in Deutschland auch einen sieben¬
jährigen Seekrieg zum Schutze seiner Kolonien gegen Frankreich und
Spanien führen mußte, ging es aus demselben hauptsächlich durch die
Hilfe seiner amerikanischen Unterthanen siegreich hervor und gewann durch
denselben Florida von Spanien und Canada von Frankreich. England
hatte in diesem Kriege große Anstrengungen gemacht und eine bedeutende
Schuldenlast auf sich geladen; einen Teil derselben wollte es nun auch
den Kolonien auflegen und führte deshalb in Nordamerika, ohne vorher die
Einwilligung der Bewohner einzuholen, einen Eingangszoll auf Thee und