Full text: Das Mittelalter (Bd. 2)

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oder Wissenden (Vemenoti), gewöhnlich 7 an der Zahl, welche sich gegen¬ 
seitig an einer rätselhaften Losung (Strick, Stein, Gras, Grein) erkannten 
und eidlich geloben mussten, die Einrichtungen der Feme auf das strengste 
geheim zu halten. Die gerichtlichen Beweismittel waren die althergebrachten: 
Zeugen, Urkunden, Eid und Eideshelfer. Der Ausspruch lautete immer auf 
Tod durch den Strang, die altsächsische Strafe für Landfriedensbruch. Die 
Vorladung zu diesem furchtbaren Gerichte geschah meistens heimlich, und 
der Vorladebrief wurde oft dem Angeklagten zur Nachtzeit an die Thür 
geheftet. Erschien dieser nach dreimaliger Vorladung nicht, so wurde er 
verfemt, d. h. für vogelfrei erklärt und das Todesurteil konnte jederzeit, 
wenn man seiner habhaft werden konnte, von den Wissenden an ihm voll¬ 
streckt werden. Die Feme nahm, obwohl ihr Sitz auf Westfalen (die rote 
Erde) beschränkt war, eine Gerichtsbarkeit über alle Angehörigen des Reichs, 
Frauen und Juden ausgenommen, in Anspruch und wagte es sogar Geistliche 
vor ihren Richterstuhl zu laden. Bei ihrer unumschränkten Macht artete 
sie natürlich bald aus und musste fallen, als die rechtlosen Zustände des 
späteren Mittelalters geordneteren Verhältnissen Platz machten. Das letzte 
Freigericht (zu Gemen in Westfalen) wurde erst 1811 förmlich aufgehoben; 
der letzte Freigraf starb 1835. ^ 
Während so im Reiche der Grundsatz der Selbsthülfe immer 
mehr Geltung gewann, schaltete Kaiser Wenzel in Böhmen mit 
einer Härte und Grausamkeit, die mit den Jahren zu tyrannischer 
Willkür ausartete. Seine niedrigen Gelderpressungen, wodurch 
er den böhmischen Adel zwang, die an denselben verpfändeten 
Krongüter ohne Ersatz herauszugeben, sein lässiges Einschreiten 
bei einem Volksaufstande in Prag, in dem mehrere tausend Juden 
erschlagen wurden, besonders aber sein grausames Verfahren 
gegen den Priester Johann Nepomuk brachte ihn ganz um die 
Achtung des Volkes. 
Endlich zerfiel der Kaiser auch mit seinem eigenen Bruder 
Sigmund, der ihn in Verbindung mit seinem Vetter Jobst von 
Mähren in Prag überfiel, ihn gefangen nach Österreich brachte 
und erst auf das Drängen der Kurfürsten wieder aus der Haft 
entliess. Seinen letzten Halt verlor er, als sich auch die Kur¬ 
fürsten von ihm abwandten. Da er nämlich dem Johann 
Galeazzo Visconti gegen eine Geldsumme die erbliche Herzogs¬ 
würde in Mailand verlieh und dadurch wichtige Kronrechte aufgab, 
erschien er den Kurfürsten als ein ,unnützlicher Entgliederer des 
Reiches4. Und als er im Vereine mit dem Könige von Frankreich 
*) Seibertz, Zeitschr. für westfälische Altertumskunde. Neue Folge 
VII., S. 125 ff.
	        
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