§ 21. Deutschland und Ludwigs XIV. letzte Kriege. 97
verlangte man noch von ihm, er solle zn dessen Verjagung französische
Truppen schicken. An dieser Forderung scheiterten die Verhandlungen.
Da starb Io seph I., und ihm folgte eben jener Karl, für den das ^^mo.
spanische Erbe erobert werden sollte. Die nun zu erwartende Ver¬
einigung der kaiserlich-österreichisch-spanischen Macht lag
aber nicht im Interesse des „Europäischen Gleichgewichts",
dessen Bestand vorher durch Ludwig XIV. bedroht schien. So erlahmte
die Neigung zur Fortführung des Krieges bei den Seemächten. Dazu
kam, daß ein Wechsel der politischen Anschauungen in England den
Sturz des bisher allmächtigen Marlborough und größere Geneigtheit MEoroughs
zum Frieden zur Folge hatte. Indem England in eigensüchtiger und
hinterhältiger Weise seine bisherigen Verbündeten im Stich ließ, schloß
es mit Ludwig XIV. den Frieden zu Utrecht ab (1713), dem Holland
und Preußen beitraten. Der Kaiser versuchte erst den Krieg allein Rastatt
weiterzuführen; da aber feine Waffen keinen Erfolg erkämpften, be- 1713 imb m4-
quemte er sich im Jahre darauf zum Frieden von Rastatt. Die ver¬
schiedenen Friedensschlüsse, denen zuletzt auch das Deutsche Reich
beitrat, hatten folgende Ergebnisse: Philipp V. blieb König von Spa¬
nien unter der Bedingung, daß Spanien und Frankreich nie vereinigt
werden sollten, und behielt das spanische Kolonialreich; Karl VI. be¬
kam die spanischen Niederlande und die italienischen Besitzungen Spa¬
niens mit Ausnahme Siziliens, das dem Herzoge von Sa¬
voyen (jetzt also König!) zugesprochen wurde. England behielt
Gibraltar, ließ sich von Frankreich bessert Hudsonbailänder und
Neufundland abtreten und bereitete damit seine Herrschaft über das
Mittelmeer und Nordamerika vor; Holland besetzte eine Reihe von
Festungen in den nunmehr österreichischen Niederlanden, die es gegen
Frankreich schützen sollten, und Preußen wurde als Königreich (s.
S. 99) anerkannt, erhielt das sog. Oberquartier Geldern (sw. v. Kleve)
und ließ sich den Besitz der ihm aus der „iranischen Erbschaft" zuge¬
fallenen Landschaften (Neuenburg, Mors und Singen) bestätigen. —
So hatte der Spanische Erbfolgekrieg für Europa die Folge, daß das
erdrückende Übergewicht Frankreichs beseitigt war; allerdings
erlangte England durch ihn die unumstrittene Herrschaft der
Ozeane, die es in der gewalttätigsten Weise bis in die Gegenwart
ausgeübt hat.
Nicht lange überlebte Ludwig XIV. diese Friedensschlüsse, die den Ludwigs xiv.
völligen Zusammenbruch seiner Pläne und seines Ansehens in Europa^6 Se6en*'aSre'
bedeuteten und den wirtschaftlichen Niedergang Frankreichs besiegelten.
Seine letzten Lebensjahre waren durch schwere Schicksalsschläge in der Fa¬
milie getrübt: Sohn und Enkel waren ihm im Tode vorangegangen, und
als er 1715 im Alter von 77 Jahren starb, folgte ihm ein fünfjähriger
Urenkel, Lud wig XV. Frankreich aber, das den „Sonnenkönig" einst
vergöttert hatte, gab ihm seinen Fluch mit ins Grab.
Schenk-Koch, Lehrbuch d. Geschichte. V. 4 Aufl. 7