Full text: Handbuch der Israelitischen Geschichte von der Zeit des Bibel-Abschlusses bis zur Gegenwart

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alles dessen, was die Gelehrten im Kreise ihrer Bekannten und Freunde gesagt 
und geübt, was sie in den Hochschulen gelehrt und geäussert haben. Der Tal¬ 
mud ist seinem eigentlichen Hauptinhalte nach die weitere Ausführung und Er¬ 
klärung der Mischna, die lebendige Discussion über Gesetze und Rechte, über 
religiöse Einrichtungen und Satzungen; da er aber das ganze öffentliche und 
private Leben umfasst, so enthält er auch Sentenzen und Lebensregeln, Erzählungen 
und Legenden, Historisches und Geographisches, Philosophisches und Medicinisches. 
Der Talmud zerfällt in zwei Haupttlieile: Halacha und Hagada. Die Halacha 
(Regel, Norm), meistens in Form der Disputation abgefasst, sucht die Mischna 
zu erläutern, das Ueberlieferte logisch zu begründen und durch Vergleich und 
Folgerungen gesetzliche Schlüsse zu ziehen; sie ist der religionsgesetzliche Theil. 
Die Hagada (Erzählung), wie der nichthalachische Stoff genannt wird, räumt der 
subjectiven Deutung den weitesten Spielraum ein; sie enthält neben sinnigen 
Erzählungen, trefflichen Parabeln und erhabenen Sentenzen, auch Stellen und Aus¬ 
sprüche, welche als Producte ihrer Zeit häufig unverständlich und ohne jede 
praktische Bedeutung sind. 
Die Sprache des babylonischen Talmud ist bald aramäisch, bald rabbinisch- 
hebräisch, enthält aber auch viele fremde, namentlich griechische Elemente; der 
jerusalemische Talmud nähert sich mehr dem syrischen Idiom. Die mehrmals auf¬ 
genommenen Versuche, den Talmud zu übersetzen, erwiesen sich bald als unaus¬ 
führbar; nur wenige Tractate wurden ins Deutsche übersetzt, so Berachot von 
Pinner, Baba Mezia von Sammter, Maccot von Hirschfeld, Aboda Sara von Ewald; 
mehrere Tractate wurden von Rabbinowicz ins Französische übertragen. Es findet 
sich wohl kaum irgend ein Literaturwerk, das so oft abgeschrieben, so oft öffent¬ 
lich verbrannt, so oft gedruckt, so vielfach commentirt und mit solcher Hingebung 
studirt wurde wie der Talmud; er bildete den Mittelpunkt des jüdischen Volkes 
und wurde ihm das marmorne Grundgesetz, der Lebensborn und der Inbegriff aller 
Wissenschaften; er hat das religiös-sittliche Leben der Juden bewahrt und sie 
vor Unwissenheit und Verdumpfung geschützt. Andererseits zog er ihnen auch 
viele Verfolgungen zu, die bis in die neueste Zeit zumeist von der Unwissenheit 
und Böswilligkeit ausgingen. Allmählich wird aber dieses so viel geschmähete 
Werk auch von christlichen Gelehrten anerkannt und gewürdigt. 
Vierter Abschnitt. 
Tom Abschluss des Talmud 
bis zum Erlöschen des Gaonats (500—1040). 
§ 1. Die Juden in Persien, Indien und China. Die Saboräer. 
Die in ganz Persien zerstreut wohnenden Juden hatten ungeachtet ihrer 
oft bewährten Treue gegen die persischen Könige tyrannischen Druck zu er-
	        
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