Full text: Deutsche Sozialgeschichte

Immunität. Karls d. Gr. Maßregeln. Bedeutung der Großgrundherrschaft. 21 
Die Gefahr, die in dem Schwinden der freien Bauern, in der 
steten Zunahme des Grundholdentums für den Bestand der Staats¬ 
ordnung lag, erkannte Karl der Große (768 — 814) wohl und 
traf deshalb Bestimmungen, um den Fortbestand des kleinen, freien 
Besitzes zu sichern. Nur wer mindestens vier Husen besaß, sollte 
persönlich den für Unbemittelte zu unerschwinglicher Last gewordenen 
Kriegsdienst leisten. Tie Besitzer kleinerer Guter sollten gemein¬ 
sam einen Mann stellen und ausrüsten. Auch ward öfter nur ein 
Teil des Heerbanns aufgeboten, und die Zurückbleibenden brauch¬ 
ten dann nur eine Beisteuer zu leisten. Ferner sollten, damit die 
freien Bauern nicht durch die Gerichtsverhandlungen zu viel Zeit 
verlören, nur dreimal im Jahre ungebotene Gerichtstage, echte 
„Dinge"*), gehalten werden, zu denen alle Freien erscheinen mu߬ 
ten. In den Hundertschaften dagegen sprachen die aus den Freien 
des Gaues lebenslänglich gewählten Schöffen das Urteil. 
So suchte Karl die breiten, unteren Schichten der Nation in 
ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit zu erhalten, konnte aber den 
Verfall des Standes der Freien nicht hindern. 
Die Großgrundherrschaft gab also in der Karolingerzeit der 
Gesellschaft das eigenartige Gepräge; den mächtigsten Stand bil¬ 
deten geistliche und weltliche Großgrundherren, und viele bis dahin 
völlig freie Bauern wurden ihnen zins- und dienstpflichtig, um vor 
den vielfachen Bedrückungen, namentlich durch Heeresfolge, geschützt 
zu sein. Denn an Vereinigung zu gemeinsamer Abwehr war nicht 
zu denken. So büßte das Volk viel von der Wehrhastigkeit, dem 
Stolze der alten Germanen, ein, und die Gemeinfreiheit schwand 
bedenklich; um die Mitte des 10. Jahrhunderts herrschte nur noch 
in Sachsen und Friesland, sowie in den südlichen Gebirgsgegenden 
Karls des 
Großen Ma߬ 
regeln zur 
Erhaltung 
der kleinen 
Freien. 
Bedeutung 
der 
Großgrund¬ 
herrschaft. 
*) Ding (Thing) bedeutet Verhandlung; vgl. den Ausdruck: eine 
Magd dingen.
	        
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