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Vierles Buch.
Die Uebenbuhlerinnen.
Zwei Schwestern lieb' ich, schwesterliche Schönen,
Die Einer hohen Mutter Züge tragen;
Nur andrer Heimath Wiege, wo sie lagen,
Konnt' in der Sitt' einander sie entwöhnen.
Sie fesseln mich mit ihrer Stimme Tönen,
Die zart und voll den Sinn der Rede sagen;
Wenn eine schweigt, muß ich vermissend klagen,
Und die ich höre, scheint mir werth zu krönen.
Ich streb', entzündet, ihnen nachzulallen;
Doch wie ein fernes Echo, matter, trüber,
Hauch' ich nur Lispeln in die rauhen Lüfte.
Wer kann den ölbekränzten Betis wallen
Durch deutsche Fluren heißen, und, herüber
Die Alpen, Welschlands Pomeranzendüfte?
A. W. Schlegel.
Das Lieblichste.
Sanft entschlummert sich's an moos'gen Klippen
Bei der dunkeln Quelle Sprudelklang.
Lieblich labt's, wenn Gluth das Mark durchdrang,
Traubensaft in Tropfen einzunippen.
Himmlisch dem, der je aus Aganippen
Schöpfte, tönt geweihter Dichter Sang.
Göttlich ist der Liebe Wonnempfang
Auf des Mãdchens unentweihten Lippen.
Aber Eines ist mir noch bewußt,
Das der Himmel seinen liebsten Söhnen
Einzig gab: die Wonne milder Thränen;
Wann der Geist, von Ahnung und von Lust
Rings umdämmert, auf der Wehmuth Wellen
Wünscht in Melodieen hinzuquellen.
A. W. Schlegel·