Full text: Griechische Geschichte, römische Geschichte bis zum Ende der Republik (Teil 1 = Klasse 4)

IV. Lomerische Dichtung. 
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geben, ohne daß durch eine chronikartige Aufzählung der Ereignisse 
die Lörer (und Leser) ermüdet werden. Größere Schwierigkeiten bot 
die Gestaltung des jüngeren Epos, der Odyssee. Es handelt 
von der Rückkehr des leidengeprüften Odysseus zu seiner Familie. 
Eine Aneinanderreihung von See- und Landabenteuern hätte auch 
hier ermüdend gewirkt. So stellt der Dichter zunächst t>ie_ unerträg¬ 
lichen Zustände dar, die sich in Abwesenheit des Herrschers auf 
Ithaka herausgebildet haben (Übermut der Freier, Aristokratie!). 
So wird Spannung erregt: Wo mag der Netter weilen? Auf 
Göttergebot verläßt er seinen idyllischen Aufenthalt bei der Nymphe 
Kalypso, zu der ihn Stürme verschlugen, und gelangt nach neuem 
Schiffbruch zur Insel der Phäaken (Nausikaa). Gastfreundlich auf¬ 
genommen, erzählt er hier seinen Wirten seine bisherigen Erlebnisse 
(Vorbild des Ich-Romans). Schlafend gelangt er auf einem 
Phäakenschiff ins Vaterland und muß unerkannt manche Demütigung 
ertragen, bis er endlich den Übermut der Freier strafen und die 
Herrschaft wieder in seine Lände nehmen kann, vereinigt nun mit 
seiner treuen Gattin Penelope und seinem Sohne Telemachos. So 
wird dank der kunstvollen Komposition auch hier der Zuhörer 
in immer neue Lebenslagen eingeführt und folgt mit immer neuer 
Spannung dem Berichte. Der Genuß wird erhöht durch die zahl¬ 
reichen Gleichnisse und die Kunst der naturgetreuen Darstellung 
wahrer Menschen auf naiver Kulturstufe. 
Der Dichter selbst tritt völlig zurück, so daß aus den Epen 
nichts über seine Persönlichkeit zu ermitteln ist. Kaum merkt man, 
welche Partei er in den dargestellten Kämpfen nimmt; mit gleicher 
Liebe schildert er Freund und Feind. So finden wir in der Ilias, 
und Odyssee alles, was das Wesen des Epos ausmacht, plastische 
Anschaulichkeit, fortreißenden Zug der Handlung, Natur und Wahr¬ 
heit, Naivität und kühle Objektivität. Bei solcher Löhe der Dar¬ 
stellungskunst können die beiden Epen natürlich nicht am Anfange der 
Dichtkunst stehen, sondern sie bedeuten schon das Ergebnis einer 
Jahrhunderte alten Kunstübung. 
Die homerischen Gedichte sind vom Griechentum wie heilige 
Bücher hochgehalten worden. Aus ihnen lernte man die ältesten 
Schicksale des Volkes. An ihnen bildete sich der Sinn für Geschichte 
und Poesie. An ihnen lernten auch die Römer das Singen und Sagen. 
Und als man sich in Deutschland im 18. Jahrhundert von dem 
französischen Einflüsse in der Dichtkunst befreien wollte, da fand man 
in der homerischen Dichtung das echte Muster der Nachbildung, aus 
dem man die Regeln aller wahren epischen Kunstübung glaubte 
ableiten zu können. Durch Voß' Übersetzung wurden die
	        
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