Full text: Klasse 9 (zweites Schuljahr) (Teil 1, [Schülerband])

9. Goldtöchterchen. 
Richard Leander. 
1. 
Vor dem Tor, gleich an der Wiese, stand ein Haus, darin wohnten 
zwei Leute, die halten nur ein einziges Kind, ein ganz kleines Mädchen. 
Das nannten sie Goldtöchterchen. Es war ein liebes, krägles, kleines 
Ding; flink wie ein Wiesel. Eines Morgens geht die Mutter in die 
Küche, Milch zu holen; da steigt das Ding aus dem Bett und stellt sich 
im Hemdchen in die Haustür. Nun war ein wunderherrlicher Sommer¬ 
morgen, und wie es so in der Haustür steht, denkt es: „Vielleicht regnet's 
morgen; da ist's besser, du gehst heute spazieren." Wie's so denkt, geht's 
auch schon; läuft hinter's Haus auf die Wiese und von der Wiese bis 
an den Busch: Wie's an den Busch kommt, wackeln die Haselbüsche ganz 
ernsthaft mit den Zweigen und rufen: 
„Nackefrosch im Hemde, . 
Was willst du in der Fremde? 
Hast kein' Schuh und hast kein' Hos', 
Hast ein einzig Strümpfel bloß; 
Wirst du noch den Strumpf verlier'n, 
Mutzt du dir ein Bein erfrier'n. 
Geh nur wieder Heime; 
Mach' dich auf die Beine!" 
2. 
Aber es hört nicht, sondern läuft in den Busch, und wie es durch 
den Busch ist, kommt es an den Teich. Da steht die Ente am Ufer mit 
einer vollen Mandel Junger, alle goldgelb, wie die Eidotter, und fängt 
entsetzlich an zu schnattern; dann läuft sie Goldtöchterchen entgegen, 
sperrt den Schnabel weit auf und tut, als wenn sie es fressen wollte. 
Aber Goldtöchterchen fürchtet sich nicht, geht gerade darauf los und sagt: 
„Ente, du Schnatterlieschen, 
Halt doch den Schnabel und schweig ein bihchen!" 
„Ach," sagt die Ente, „du bist's, Goldtöchterchen! Ich hatte dich 
gar nicht erkannt; nimm^s nur nicht übel! Nein, du tust uns nichts. 
Wie geht es dir denn? Wie geht es denn deinem Herrn Vater und 
deiner Frau Mutter? Das ist ja recht schön, daß du uns einmal besuchst. 
Das ist ja eine große Ehre für uns. Da bist du wohl recht früh auf¬ 
gestanden? Also, du willst dir wohl auch einmal unsern Teich besehen? 
Eine recht schöne Gegend! Nicht wahr?"
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.