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müssen, ja selbst noch mehr Feinden sich gegenüber zu sehen,1) da Versuche,
Österreich von Deutschland, seinem Besieger von 1866, abzuziehen, gemacht
sind und auch in Zukunft gemacht werden dürften. — Allein ganz abgesehen
davon, dafs nicht nur der Dreibund durch wahre und dauernde Gleichheit der
Interessen fester zusammengehalten werden dürfte, als seine Gegner glauben2),
nnd dafs auch England erklärt hat, es werde denen feindlich gegenüberstehen,
die den Frieden störten, müfste der ganze Gang der geschichtlichen Ent¬
wickelung trügen, wenn Deutschland nicht hoffen dürfte, rufsischer Unkultur
und französischer Überkultur gegenüber den Sieg zu behalten. —
§ 12.
Diesen auf die Geschichte gegründeten Glauben wird man festhalten
dürfen auch der Möglichkeit gegenüber, dafs in den Streit der europäischen
Mächte Amerika hineingezogen würde.
Während die Völker Europas sich die Kämpfe lieferten, die sie bei den
einmal seit alters her vorhandenen Kräften und Gegensätzen sich mit un¬
abwendbarer Naturnotwendigkeit liefern mufsten, hat sich Amerika in einer
Weise entwickelt, die für Europa bedrohlich werden kann. Nicht genug, dafs
daselbst die schon erwähnte Monroe-Doktrin entstanden, die Amerika für die
Amerikaner in Anspruch nimmt und den europäischen Mächten, die dort noch
Besitzungen haben, den Verlust derselben früher oder später in Aussicht stellt,
— Amerika, durch seine Lage unangreifbar und sich selbst genügend, fühlt
sich vielmehr als Weltmacht im wahrsten Sinne des Wortes und weifs, dafs
sich ihm keine andere zur Seite stellen kann.
Wohl dürfen augenblicklich auch England und Rufsland sich als Welt¬
mächte betrachten, doch ist England nur eine künstliche, insofern seine
Macht auf Kolonieen beruht, die vermöge der Natur der Sache nach Selbst¬
ständigkeit streben und sich in Güte oder mit Gewalt von England trennen
werden. Rufsland ist durch seine Lage, indem es mit Sibirien ein zusammen¬
hängendes Ganzes bildet, in anderer Weise Weltmacht als England, aber ab¬
gesehen davon, dafs es wie England der Möglichkeit ausgesetzt ist, seine
Kolonie Sibirien zu verlieren, wo jetzt bereits eine dort geborene Generation
sich zu fragen beginnt, warum Sibirien von Petersburg aus regiert werden
müsse, — kann Rufsland sich mit Amerika an Macht nicht vergleichen.
Da nun die Monroe-Doktrin die amerikanische Union zum geborenen
Gegner Englands macht, so liegt die Möglichkeit nicht fern, dafs Amerika,
sich unangreifbar wissend, einen europäischen Krieg benutzt, um die eng-
*) ‘Die Möglichkeit ist nicht ausgeschlossen, dafs wir, wie Friedrich d. Gr. im siebenjährigen
Kriege die Errungenschaften der beiden ersten schlesischen Kriege zu verteidigen hatte, auch
unsere Errungenschaften in einem noch gröfseren Kriege als in den vorhergehenden zu ver¬
teidigen haben würden. — Unsere Bemühungen (um den Frieden) sind aufrichtig, vor allem aber
brauchen wir dazu ein starkes Heer, ein Heer, das stark genug ist, um unsere eigene
Unabhängigkeit ohne jeden Bundesgenossen sicherzustellen’. Fürst Bismarck im
Reichstage am 11. Januar 1887.
2) ‘Mit unseren Bundesgenossen in der Friedensliebe (Österreich) einigen uns nicht nur
Stimmungen und Freundschaften, sondern die zwingendsten Interessen des europäi¬
schen Gleichgewichts und unserer eigenen Zukunft’. Fürst Bismarck im Reichstage vom
6. Februar 1888, wo er das Verhältnis des Deutschen Reiches zu Rufsland darlegte und die
berühmten Worte sprach: ‘Wir Deutsche fürchten Gott und sonst nichts in der Welt’.