- 136 —
verkannte, selbst seine Ansichten fanden nur zu oft herbe Beur¬
theilung, weil sie Vielen zu romantisch zu sein schienen. Er ver¬
wahrte sich „gegen den verneinenden Geist der Zeit und verlangte
den der Ordnung und Zucht", und versicherte, daß „es keiner
Macht der Erde gelingen solle, das Verhältniß zwischen Valk und
Fürsten in ein constitutionelles umzuwandeln, zwischen Gott im
Himmel und das Land ein geschriebenes Blatt als zweite Vor¬
sehung einzudrängen." Denn sein Wahlspruch sei: „Ich und
mein Haus^ wollen dem Herrn dienen." Die Stände fühlten,
daß der König von Herzen spreche, aber die kirchlichen und po¬
litischen Aufregungen, welche seine Minister hervorgerufen hatten,
als ob das Land der persönlichen Ueberzeugung der Minister un¬
bedingt folgen müsse, riefen allgemeine Unzufriedenheit mit der
Ministerwillkür hervor, gegen welche sich auch der Reichstag mit
rückhallsloser Mißbilligung aussprach. Die Stände waren zum
Aeußersten entschlossen, und wollten „nur der Gewalt der Bajonette
weichen"; Manche wollten sofort wieder abreisen. Da entschloß man
sich, in einer Adresse dem Könige die Gebrechen des Staates „ehr¬
erbietig" darzulegen. Es gab dabei scharfe Debatten, aber die Minister
konnten nicht Stand halten gegen die Wucht der Thatsachen. Man
verlangte ein „neues, verjüngtes Preußen, welches in der Frei¬
heit eine Stütze finde und, getragen von der Sympathie der
deutschen Bruderstaaten, das deutsche Volk zu der Stufe hinan¬
führe, die ihm unter den Kulturvölkern der Erde gebührt." Die
Adresse, eine Verurtheilung der Minister, ward mit großer Mehr¬
zahl, 484 gegen 107 Stimmen angenommen und überreicht, hier¬
auf Anordnungen gegen die Tumulte getroffen, die in Folge der
Brodtheuerung überall ausbrachen, alle Vorlagen der Minister
abgelehnt, regelmäßige Einberufung der vereinigten Landstände
verlangt und die Gegenbemerkungen Savigny's und Bismark's
nicht beachtet, welche dem fürstlichen Absolutismus das Wort
redeten.
Der König, in seiner gerechten Denkungsweise, empfand wohl
die Wahrheit der gestellten Anträge des Reichstags und sah so¬
gleich, daß die Wurzel des Uebels in dem Bundestage liege,
dessen Umgestaltung er daher anstrebte. Radowitz verfaßte nun
eine Denkschrift, in welcher er ausführte, daß der Bundestag seit
32 Jahren nichts gethan habe. „Die gewaltigste Kraft der
Gegenwart ist aber die Nationalität. Durch alle Gemüther zieht
die Sehnsucht nach einem an innerer Gemeinschaft wachsenden
Deutschland, das, nach außen mächtig und geehrt, nach innen ein¬
trächtig sei. Dies ist der populärste und gewaltigste Gedanke in
unserm Volke. Preußen kann nur in der festesten, innigsten Ver¬
bindung mit dem übrigen Deutschland die Ergänzung der eignen
Kraft finden. Für Preußen ist es eine Lebensfrage, daß Deutsch-