4^ Die Völkerwanderung.
dehnung des römischen Gebiets machte dessen Verteidigung gegen An
griffe von außen immer schwieriger. Dazu kamen fast nnausaeseltte
innere Wirren. Seit etwa 200 n. Chr. war die Herrschaft im rö¬
mischen R et che fortwährend ein Gegenstand bald offener Kämpfe
zwischen Kaisern und Gegenkaisern, bald geheimer Intriguen am Hofe
und gewalttätiger Erhebungen in dem einen oder dem andern Heere^-
körper Die Verlegung der Residenz nach Byzanz oder Konstantinopel
Ultra) Konstantin den Großen, 33o) rückte den Schwerpunkt des Reichs
nach den Osten hin, schwächte dadurch aber die Westhälfte, und die
nach Konstantins Tode von neuem beginnenden Teilungen zwischen
mehreren Kaisern schädigten die Widerstandskraft des einen wie des
anderen Reichsteiles.
Anfangs gelingt es noch einzelnen römischen Kaisern, die herein¬
brechende Völkerflut entweder mit Waffengewalt oder durch friedliche
Unterhandlungen von den Grenzen des Reichs abzuhalten. Allmählich
müssen sie sich dazu bequemen, den „Barbaren" Sitze auf römischem
Boden einzuräumen. Auch finden sie es bald vorteilhaft, germanische
Stämme alv „Bundesgenossen" auszunehmen und ihnen in dieser Eigen¬
schaft Land anzuweisen. Freilich wird damit je länger je mehr das
Reich in die Hand dieser „Barbaren" gegeben, welche heute als Ver¬
teidiger, morgen als Feinde desselben austreten, oder deren Häupt¬
linge als Heerführer nnb Statthalter der Kaiser eine gefährliche Macht
erlangen.
Das römische Ostreich überdauert, wenn auch nicht ungeschädigt,
alle diese Stürme. Das Westreich geht daran zu Grunde. Was die
folgen dieser ungeheuren Revolution in den gesamten Verhältnissen
der europäischen Völker für letztere selbst betrifft, so verlieren sich die
ostgermanischen Stämme ohne bleibende Spur in den Bevölke¬
rungen, die sie eilte Zeitlang beherrschten- von den westlichen da¬
gegen gehen zwei wichtige Staatenbildungen aus: das angelsächsische
Reich in Britannien und das fränkische in Gallien, beide von blei¬
bender Dauer, jenes der Ausgangspunkt für das englische, dieses der
für das deutsche und das französische Reich.
^o viel int allgemeinen über Verlaus und Endergebnis der Völker¬
wanderung; nun einiges Nähere über deren einzelne Hanptftadien! *)
*) Entsprechend dem Plane dieses Buches, welches, um nicht die Aufmerksam¬
teil der Leser zu zersplittern und ihr Gedächtnis mit zu vielem Geschichtsstoff zu
überladen, sich auf das für die Kenntnis und das Verständnis der deutschen Ge¬
schichte Wichtigste beschränken will, werden die Wander- und Eroberungs¬
züge der andern germanischen Stämme kürzer, die der Franken dagegen ein¬
gehender geschildert werden.