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Träume von ihm sie endlich überzeugten, sie sei vom Himmel er¬
koren, rhn zu retten.
Von nun an hatte sie feine Ruhe und Rast mehr zu Hause. Sie
9^n9 das benachbarte Städtchen Vaucouleurs und zu dem Ritter
Baudricourt. Den bat sie recht inständig, sie doch mit zum Könige
zu nehmen und ihre geringe Hilfe nicht zu verachten. Sie erzählte
chm ihre Erscheinungen und Eingebungen und versicherte ihm sie
sei bestimmt, den König von Frankreich zu retten. Der Ritter sah
[te, ^/staunt an, hielt sie für nicht recht gescheidt und wies sie ver¬
geßlich von sich. Aber nach einiger Zeit war sie schon wieder
bei ihm und drang so lange in ihn, bis er zuletzt ganz eingenom¬
men von dem Mädchen war und ihr versprach, sie mit zum Könige
Zu nehmen, dem er gerade einen Hausen Reiter zuführte. Der König
Karl hielt sich damals im Schlosse Chinon auf, nicht weit von
Orleans. Er horchte hock auf, als ihm der Ritter erzählte, wen
er mitbringe, und welche Erscheinungen das Mädchen vorgebe.
In unsern aufgeklärten Zeiten, wo nur übel unterrichtete Men¬
schen noch am Aberglauben hängen, würde man über das Vorgehen
der ^-ungsrau gelacht, oder sie als eine Selbstbetrogene gutmüthig
bedauert haben. Nicht so damals. Himmlische Eingebungen hielt
man für gar nicht unwahrscheinlich. Doch wollte Kart sie erst aus
die Probe stellen. Er ließ sie zu sich führen, nachdem er alle könig¬
lichen Abzeichen abgelegt und sich unter feine Hofleute verborgen
hatte. Aber sogleich fand sie ihn unter allen heraus, obgleich sie
ihn noch nie gesehen hatte. Dann vertraute sie ihm, um ihre gött-
liche Sendung zu beweisen, den Traum an, den sie in der letzten
Nacht gehabt hatte, versprach ihm, ihn zur Krönung nach Rheims
(der alten Krönungsstadt der französischen Könige) zu führen, und
verlangte, man sollte ihr ein bezeichnetes Schwert aus einer benach¬
barten Wallfahrtskapelle holen. Daß sie den König habe belügen
wollen, läßt sich wohl nicht denken; sondern wahrscheinlich ist, daß
sie sich selbst für eine vom Himmel Auserkorne hielt, und daß jette
angeblichen Wunder erdichtet wurden, um ihr das Vertrauen des
Volks und der Soldaten zu verschaffen. Der König war oder stellte
sich ganz überzeugt von ihrer himmlischen Sendung. Er behielt sie
bei sich, erwies ihr ungemeine Ehre, ließ ihr gleich eine Rüstung
machen und eine weiße Fahne, auf welche Gott selbst mit einer
Weltkugel gemalt war. So zeigte er sie dem Heere, welches ihr
laut entgegen jauchzte und nun unbesiegbar zu sein glaubte.
Wie sehr der feste Glaube an himmlischen Beistand auf ein Heer
wirken kann, ist schon von der Eroberung von Jerusalem her be¬
kannt, und dies zeigte sich auch hier wieder. Es war urplötzlich
ein ganz neuer Geist in die Soldaten gefahren, und ungeduldig
warteten sie auf das Zeichen zur Schlacht. — Die erste Gelegenheit,
wo das Mädchen ihren Muth beweisen sollte, war ein Versuch, den