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Anfangs ging zwar Alles gut. Fast alle benachbarten Städte
unterwarfen sich bei der ersten Aufforderung. Dagegen bedrängte
der Herzog von Burgund die Stadt Compiegne. Hier hinein
warf sich die Jungfrau, um der Besatzung Muth zur Vertheidigung
zu machen, und unternahm am folgenden Tage einen Ausfall. Da
aber die Feinde heftig drängten, zog sie sich zurück, drang dann
noch einmal vor, wurde aber hier von den Franzosen verlassen, von
den Burgundern umringt und nach einem wüthenden Gefechte ge¬
fangen genommen. Das Aergste dabei war, daß die Franzosen,
wie man damals sagte, sie absichtlich im Stiche und den Feinden
in die Hände fallen ließen, weil sie sich ärgerten, daß man jeden
Erfolg nicht ihnen, sondern der Jungfrau zuschrieb.
Wie triumphirten nun die Burgunder und Engländer! In Paris
wurde das -Te ‘Deutn gesungen und die Engländer betrachteten
den Fang als einen großen Sieg. Zunächst wurde sie in einen
Thurm gesperrt. Der Herzog von Bedsord, der für den jungen
Heinrich VI. von England regierte, kaufte sie den Burgundern ab.
Als sie das horte, entsprang sie aus dem Thurme, wurde aber bald
wieder eingeholt und nach Rouen gebracht. Eigentlich hätte man
ihr als einer Kriegsgefangenen nichts thun dürfen; aber es lag
ihren Feinden zu viel daran, sie ums Leben zu bringen, so daß sie
vor einem geistlichen Gerichte der Zauberei, Gottlosigkeit, Abgötterei
und Hexerei förmlich angeklagt wurde. Hter antwortete sie mit der
größten Unerschrockenheit. Man führte sie mit Ketten gebunden
vors Gericht. Sie bat, man möchte sie losbinden. »Gut!« sagten
die Richter, »aber du mußt versprechen, nicht wieder entwischen zu
wollen.« — »Nimmermehr!« antwortete sie, »im Gegentheil werde
ich entfliehen, wie und wo ich kann!«
Vier Monate lang wurde das arme Mädchen mit Fragen ge¬
quält, um sie irre zu machen. Man fragte, warum sie sich auf
ihre Fahne verlassen hätte, da diese ja doch nur durch Zaubersprüche
geweiht worden sei. »Nur allein auf Gott!« antwortete sie, »habe
ich mich verlassen, dessen Bildniß daraus steht.« Weiter fragte man,
warum sie bei der Krönung sich neben den König gestellt habe?
»Weil,« war die Antwort, »die, welche alle Gefahren mit ihm ge¬
theilt hatte, auch an der Ehre Theil nehmen mußte.« — »Aber«,
fragte man endlich, »wie abscheulich war es doch, daß du als Jung¬
frau dir anmaßtest, über Männer den Oberbefehl im Kriege zu
führen!« — »Das sehe ich nicht ein,« antwortete sie, »denn ich hielt
Alles für erlaubt, um die Engländer ans Frankreich zu vertreiben,
und mein Vaterland zu befreien.« — Da man ihr weiter nichts
anhaben konnte, so sprachen endlich die geistlichen Richter das Ur¬
theil, sie sei eine Ketzerin, ihre angeblichen Offenbarungen feien nichts
als Eingebungen des Teufels, und sie sei daher dem weltlichen
Arme zu überliefern. Der Gedanke, nun verbrannt zu werden,