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Die Würgscene fing jetzt an, für welche die Geschichte keine
Sprache unb ber Maler keinen Pinsel hat. Nicht bie fchulbfrete
Kinbheit, nicht bas hülflose Alter, nicht Jugenb, nicht Geschlecht,
nicht Stanb, nicht Schönheit können bie Wuth bes Siegers ent¬
waffnen. Frauen werben in ben Armen ihrer Männer, Töchter
zu ben Füßen ihrer Väter mißhandelt. Keine noch so verborgene,
feine noch so geheiligte Stätte konnte vor ber Alles burchforfchenben
Habsucht sichern. Dreiundfünszig Frauenspersonen fand man in
einer Kirche enthauptet. Kroaten vergnügten sich, Kinder in bie
Flammen zu werfen — Pappenheims Wallonen, Säuglinge an ben
Brüsten ihrer Mütter zu spießen. Einige Offiziere, von biefetn
grauenvollen Anblicke empört, unterftanben sich, ben Grafen Tilly
zu erinnern, baß er bem Blutbabe möchte Einhalt thun lassen.
»Kommt in einer Stunbe wieber,« war seine Antwort. »Ich werbe
bann sehen, was ich thun werbe; ber Solbat muß für feine Gefahr
unb Arbeit etwas haben.«
In ununterbrochener Wuth bauerten biefe Gräuel fort, bis enb-
lich Rauch unb Flammen ber Rachsucht Grenzen setzten. Um bie
Verwirrung zu vermehren unb ben Wiberstanb ber Bürger zu
brechen, hatte man gleich anfange an verfchiebenen Orten Feuer
angelegt. Jetzt erhob sich ein Sturmwinb, ber die Flammen mit
reißender Schnelligkeit durch die ganze Stadt verbreitete und den
Brand allgemein machte. Fürchterlich war das Gedränge durch
Qualm unb Leichen, burch gezückte Schwerter, burch stürzenbe Trüm¬
mer, burch bas ftrömenbe Blut. Die Atmosphäre kochte, unb bie
unerträgliche Gluth zwang enbltch selbst bie Würger, sich in bas
Lager zu flüchten. In weniger als zwölf Stunben lag biefe volk¬
reiche, feste, große Stabt, eine ber schönsten Deutfchlanbs, in ber
Asche, zwei Kirchen unb einige Hütten ausgenommen. Der Abmini»
ftrator, Christian Wilhelm, warb mit brei Bürgermeistern nach vielen
empfangenen Wunben gefangen; viele tapfere Offiziere und Ma¬
gistratspersonen hatten fechtend einen beneideten Tod gefunden.
Vierhundert der reichsten Bürger entriß die Habsucht der Offiziere
dem Tode, um ein theures Löfegeld von ihnen zu erpressen.
Kaum hatte sich die Wuth des Brandes gemindert, als bie
kaiserlichen Schaaren mit erneuertem Hunger zurückkehrten, um unter
Schutt unb Asche ihren Raub aufzuwühlen. Manche erstickte ber
Dampf; Viele machten große Beute, ba bie Bürger ihr Bestes in
bie Keller geflüchtet hatten. Am 13. Mai erschien enblich Tilly
selbst in ber Stabt, nachdem die Hauptstraßen von Schutt unb Lei¬
chen gereinigt waren. Schauberhaft gräßlich, empörenb war bie
Scene, welche sich jetzt ber Menschlichkeit barstellte! Lebenbe, bie
unter ben Leichen hervorkrochen, herumirrenbe Kinber, bie mit herz-
zerfchneibendem Geschrei ihre Eltern suchten, Säuglinge, bie an ben
tobten Brüsten ihrer Mutter tagen! Mehr als 6000 Leichen mußte