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es, was dem Kindchen bis in die Wurzeln hinab wohlthut. Es streckt sich im¬
mer mehr; aber nun bekommt es Durst, und es denkt: „Wo werde ich wohl
zu trinken herbekommen?" — Es guckt ringsherum. Da fallen auf einmal Trop¬
fen auf seinen Kopf, und eS merkt gleich, wo das hinaus will. „Ist es um
die Zeit?" denkt es vergnügt und sängt ans Leibeskräften zu schlucken an. Et¬
was Besseres, meint es, hätte man ihm gar nicht geben können. Es bekommt
ihm auch herrlich, und es nimmt zusehends zu. — Wenn man es aber so an¬
sieht, so glaubt kein Mensch, was aus dem Kindlein werden wird. Es ist
so klein und so zart, wie die Pflanzen in seiner Nähe, die vielleicht nur einen
Schuh hoch werden und noch dazu viel schneller wachsen. Selbst wenn es drei
oder vier Jahre alt ist, merkt man noch immer nichts, und in dieser Zeit sind
die Haselnußsträuche wenigstens sechsmal so hoch geworden, und man sollte glau¬
ben, daß diese die Eichen würden. Die junge Eiche aber läßt sich nicht irre
machen, sondern denkt: „Gut Ding will Weile haben. — Wer zuletzt lacht, lacht
am besten." — Lange glaubt man, sie wäre ein Gesträuch, weil sie von unten
bis oben hinauf ringsherum Zweige hat. Aber dies hat seinen guten Grund;
denn dadurch bleibt sie im Gleichgewichte stehen, und der Stamm bleibt gerade,
bis er so stark ist, daß er eine Krone tragen kann. Dann aber braucht er sie
nicht mehr; daher werden sie auch dürr und fallen ab.
Jetzt wird es immer deutlicher, was die Eiche im Kopfe hat und wo sie
hinaus will. Die andern Bäume merken es auch und werden ganz stutzig. Die
Gesträuche werden abgehauen, und an die Bäume kommt auch die Reihe, oder
sie sterben ab. Die Eiche aber bleibt immer stehen und guckt Jahrhunderte lang
zu und wird immer größer und größer, daß man sie nur mit Verwunderung
ansehen kann. Bei uns aber hat man keinen Begriff mehr davon, wie groß
eine Eiche werden kann; denn man läßt sie nicht mehr so alt werden, wie sonst
oder wie in andern Ländern. Wenn aber eine Eiche ausgewachsen ist, so giebt
sie viele Klaftern Holz, und aus ihrem Stamme sägt man Dielen, macht Tröge,
Fäffer; man baut aus ihr Brücken, Schiffe und Dämme, und zuletzt liefert sie
noch Bretter zu Särgen. Die Gerber brauchen die Rinde zu ihrem Geschäfte
nothwendig. Ihre Blätter ernähren alle Jahre viele tausend Maikäfer, was ich
aber gerade nicht loben will, ob es gleich den Maikäfern recht lieb ist. Auch
die Geisböcke und Geisen spitzen ihre Mäuler gewaltig, wenn sie Eichenlaub fin¬
den, und man merkt ihnen an, daß es ihnen recht schmeckt. — Seht, dies Alles
steckt in dem Keime der Eichel und noch viel mehr, und dies Alles kann der
allmächtige Gott mit einem so kleinen Keime ausrichten!
39. Die Kiefer.
Die Kiefer oder Föhre bildet die zahlreichsten Waldungen.
Sie ist äusserlich nicht schön, hat ein rauhes, knorriges, grobes
Wesen, und doch ist sie voll innerer Güte. Sie wächst fast überall
in Europa, im kältesten sowohl, wie im warmen und gemässigten
Klima, in der Ebene, wie auf Anhöhen; am liebsten hat sie den
dürren, sündigen Boden. Wüe der Bauersmann am meisten ver¬
traut wird mit Wind und Wetter, so ist auch die Kiefer für jede
Witterung abgehärtet.