Kaulen: Die Kultur der Assyrier und Babylonier. 27
Kalksteine an Menge so sehr zurück, daß schließlich der Thon allein als
der eigentliche Baustoff anzusehen ist, aus dem jene Bauten entstanden.
Die Einfachheit dieses Materials überrascht uns um so mehr, weil es
zugleich das am leichtesten beschaffbare war. Die ganze Ebene nämlich,
welche sich zwischen dem Tigris und seinem linken Nebenfluß, dem Khoser,
hinzieht, enthält gleich unter der Humusschicht oder auch zu Tage
liegend, auf einer Tiefe von mehreren Metern nur den Thon, welchen die
Assyrier zu ihren Bauten verwandten. Ninive ist demnach sozusagen aus
dem Boden erwachsen, auf dem es steht. Die Assyrier haben der ersten
Forderung der architektonischen Kunst, sich nach den gegebenen Verhält¬
nissen zu richten, in wahrhaft bewundernswerter Weise entsprochen.
Die Bildhauerei, zu welcher der Alabaster des Landes ein so bequemes
Material bot, ist immer dem Zwecke treu geblieben, monumentale Bau¬
glieder zu liefern, und entfernt sich daher nur äußerst selten vom Relief.
Selbst wenn, wie in den Thoreingängen der Paläste, riesige Bildungen
in ganzer Gestalt aus der Mauer hervortreten, bilden sie doch nur einen
Teil der Platte, welche in das Gebäude eingefügt ist (s. Abbildung S. 30).
Auch die wenigen freistehenden Statuen, welche bis jetzt gefunden worden
sind, scheinen zu einem architektonischen Ganzen gehört zu haben. Äußerst
lebendig und anschaulich verstand die assyrische Bildnerei alle Einzelhei¬
ten darzustellen. Bemerkenswert bleibt dabei, daß sie auch symbolisch
oder schematisch verfährt; bei Kriegsscenen erscheinen die Assyrier gewöhnlich
viel größer als ihre Feinde, entweder damit ihre Überlegenheit hervor¬
trete, oder damit eine Andeutung der sonst fehlenden Perspektive gegeben
werde. In Darstellung von Tiergestalten ist die assyrische Kunst uner¬
reicht, in Wiedergabe lebloser Gegenstände unübertroffen; die mensch¬
lichen Gestalten lassen zu wünschen übrig. Außerdem bewegte sich die
assyrische Kunst säst nur in Ornamentik, wie das der architektonische
Ursprung derselben mit sich brachte; hier findet sich auch, von der Kolo¬
rierung einzelner Reliefs abgesehen, die einzige Anwendung der Malerei.
Daß der Geschmack bei Anwendung derselben weit ausgebildet war, können
die Friese beweisen, welche der englische Forscher Layard an den Resten
eingestürzter Wände sand und glücklich kopierte. Den Assyriern waren,
wie die Analyse der Farbenreste gezeigt hat, schon Metallpräparate be¬
kannt, welche man bisher als viel jüngere Erfindungen ansah; so na¬
mentlich ein Autimouiat von Blei, das jetzt Neapelgelb heißt, und eine
Verbindung von Kupfer mit Blei, welche das Blau herstellt.
Wie mit der Kunstübung, so tritt auch sonst das assyrische Volk
hauptsächlich mit denjenigen Beschäftigungen auf, welche das Städteleben
bedingt. Daß sich frühzeitig eine kunstreiche Industrie entwickelte, geht
aus den zahlreichen Funden von kostbaren Gerätschaften und Schmuck¬
gegenständen aller Art, die sich bei den Ausgrabungen gefunden haben,