Full text: Europa (mit Ausschluß des Deutschen Reiches) (Bd. 2)

38. Das Walliser Land. 
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wurden. Da aber diese fast neun Zehnteile des Kantons einnehmen, so bleibt 
nur wenig Raum für eine Bevölkerung, wenig Land für Brot und Wein übrig, 
und fo macht denn das schwachbevölkerte Land, da man außerdem noch auf 
unzählige Spuren von Verwüstungen durch Eis uud Schnee stößt, fast überall 
den Eindruck der Öde. 
Naturgemäß drängte sich das gesamte Leben an die große Lebensader, 
den Rhone, in dessen Nähe sich die einzige Möglichkeit einer bequemen Straße 
darbot. Da aber auch dieser Strom in seinem ganzen Laufe sich durch Jahr- 
hunderte als treulosen Freund der Kultur erwiesen und, eiu wilder Zerstörer, 
das Oberwallis herab iu Dörfer und Felder eindrang, Taufende von Menschen- 
Wohnungen und Menschenleben vernichtete, so darf man nicht staunen, daß 
dieser Kanton im ganzen, besonders in feinen Dörfern, den Eindruck der Ver- 
Wahrlosung macht, während seine Bevölkerung sich nicht zu ihren Gunsten von 
den Nachbarn im Norden, Süden und Westen unterscheidet. 
Seine Lage ist aber auch eine gänzlich abgesonderte. Denn so zahlreiche 
und berühmte Straßen auch das Land durchschneiden, so waren es eben nur 
Straßen, die das Nordland mit dem Südlande verbanden und die dem Wallis 
im Laufe der Geschichte als Heerwege wohl mehr Schaden als Nutzen brachten. 
Eine eigentliche Kultur ist auf ihnen nicht ins Land gewandert. Große, stolze 
Werke aber find diese Straßen, die steil und hoch über die Alpenketten führen. 
Und wer über den immer wolkenumlagerteu Simplou fuhr, wird es nicht 
glauben wollen, daß er der niedrigste der Walliser Alpenpässe ist. Stolz auch 
klingt der Name des Großen St. Bernhard, aber der merkwürdigste und 
kühnste Paß ist der über den Mont Cervin, das Matterjoch oder auch 
St. Theodulspaß genannt, einer der ältesten und höchsten Gebirgspässe der 
Schweiz; er soll seinen Heiligennamen dem Bischos von Sitten, St. Theodul, 
verdanken, der ihn im achten Jahrhunderte überschritt und dessen Kapelle einst 
die Jochhöhe krönte. Die anderen „Wolkenstege", auf denen das Maultier 
im Nebel seinen Weg sucht, sind den Alpenwanderern gar wohl bekannt. Wer 
zog nicht über die Grimfel beim Rhonegletscher, oder über Kandergruud 
hinauf zur Gemmi und hinab nach Lenk? Wer kennt nicht den Col de 
Balme oberhalb Chamonix, den Sanetfch und Rawyl? 
So ist das Wallis, trotz all seiner Abgeschlossenheit als ein in die höchsten 
Alpen eingebettetes Thal, ein nach allen Seiten offenes Land, und die Päffe 
spielen eine Hauptrolle in der Geschichte des Landes, das seiner natürlichen 
Festungswerke wegen vielen begehrenswert erschien. Der bequemste Zugang 
führt durch die Westpforte, vom Genfer See her. Auf diesem Wege drangen 
die Römer ein. Octodurus, das jetzige Martinach, fiel, römische Burgen 
erhoben sich an der Dranfe, an den Rhoneusern, und wenn wir heute in Sion 
die malerische Burg Valeria bewundern, so ist diese ein Rest aus jener Zeit
	        
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