B. Des Hauses Gemeinschaftsleben 
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Vater seufzte denn auch über die Schande, daß er zum erstenmal in sei¬ 
nem Leben den Zins nicht werde zahlen können. 
Da war nun keine Spielenszeit mehr für uns Rinder. Während 
Stineliese an der Mutter Statt bei Bornriekens für die Ackerschuld ar¬ 
beitete, mußten wir kleinen, wenn wir aus der Schule kamen, ins Feld 
und krauten oder auf unseren Ackern arbeiten. Ich konnte zwischen 
Zchulschluß und Mittag immer gerade noch eine Tracht einbringen, 
denn um das bare Einkommen mehren zu helfen, mußte ich nachmittags 
nach dem gräflichen Hofe ins Tagelohn. Das ergab allemal einen guten 
Groschen. Ach, du lieber Gott, ja! was unsereins am Abend verdient 
hatte, das hatte er am Mittage ja schon wieder aufgegessen. 
Da kam nicht selten ein Tag, daß wir auch nicht einen Rnust im 
Schranke hatten. Nichts aber war mir peinlicher, als wenn ich ohne 
Halbabendbrot ins Tagelohn mußte: nicht des Hungers wegen, sondern 
weil ich mich bitter schämte, wenn die anderen ihre „Stücker" aßen und 
merkten, daß ich nichts hatte. Armut und Not ist nur halb so schwer zu 
ertragen, wenn man sie seinen lieben Mitmenschen nicht auf die Zähne 
zu hängen braucht. 
3. Beim Haferbinden auf der Rlosterseite war's einmal — es ängstigt 
mich noch manchmal im Traume —, als ich nicht ein Rrümchen in der 
Tasche hatte- ich war aber satt von der Angst vor der vesperstunde. 
Und als sie endlich kam und die Leute nach ihren Vesperstücken liefen 
und sich kauend auf den Rasenweg setzten, hielt ich mich erst abseits 
und tat, als suchte ich ein vierblättriges Rleeblatt. Dann ging ich zu den 
Feldrosenbüschen, an denen ich immer eine so heimliche Freude hatte. 
Und sie lachten mich an und labten mich mit ihrem köstlichen Dufte, 
daß ich für eine weile alle Not und Pein vergaß. Bertrams wieschen, 
das auch mit einlegen half, kam mir nach und aß ein großes, schönes 
Butterbrot vor meinen Augen- es schien gar nicht zu merken, daß ich 
nichts zu essen hatte. Ich war herzlich froh darüber, habe mich nachher 
aber doch im stillen gefragt, ob sie wirklich nichts merkte - ob sie nichts 
merken wollte, um nicht mit mir teilen zu müssen. Dreißig Iahre spä¬ 
ter, als sie in bitterkalter Winternacht vor ihrem Manne, einem schreck¬ 
lichen Saufteufel, zu mir flüchtete und ich sie wie eine Schwester aufnahm 
und erquickte, mußte ich unwillkürlich noch an iene vesperstunde denken. 
Ach, es kommt alles wieder herum! wir sollten daran denken in der 
Iugend, und wir sollten daran denken, wenn's uns gut geht. Ts kommt 
alles wieder herum. 
Dankbare Erinnerungen bewahre ich aus jener schlimmen Zeit nach 
an drei alte Frauen, und immer sind es-die Oktoberstürme, welche diese 
Erinnerungen, wenn sie einmal längere Zeit erloschen schienen, wieder 
rütteln, wecken und anfachen. 
4. Es war schon über die Mitte des Oktobers hinaus, als ich noch mit 
einem großen Tagelöhnertrupp auf der großen Rartoffelbreite vor dem 
kleinen Hagen harkte. Rodemaschinen gab's damals noch nicht - die jün¬ 
geren Frauen sowie die Burschen und Männer rodeten mit der drei¬ 
zackigen Grepe, und die alten Frauen mit den Rindern lasen die Rar-
	        
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