15. Zum Gipfel des Kibo,
131
und heitere Gedanken inmitten dieser den gemäßigten Zonen so ähnlichen Vege-
tationsformen.
Aus dem Wolkenmeer, das, die Ebene verbergend, auf dem Urwald lag, wogten
jedoch bald wieder die Nebel herauf und ließen uns nicht mehr frei. Nach Über-
springen des klaren Muebächleins, das wir alsMuebach ebenfalls früher in seinem
Unterlauf zwischen Kilema und Kirua überschritten hatten, zweigten wir vom Pfad
bergwärts ab und standen nach wenigen Minuten an jener Stelle der Grasflur, wo
ich 1887 mit Herrn von Eberstein nach dem Vorgang des Engländers Johnston mein
Standquartier für die Kibobesteiguug errichtet hatte. Diesmal folgten wir dem Lauf
des Mnebaches, den ich damals wegen der ersten hier vorkommenden Senecio John¬
stoni „Seneciobach" benannt hatte, aufwärts, ließen auch die Grashütten, die 1889
Dr. Abbott und Ehlers gebaut, hinter uns und schlugen in einem windgeschützten
Kessel am Rand des Muebächleins, dessen steile Uferwände noch dichtes Strauchwerk
vou Eriken und Essigbäumen tragen, unser großes Zelt auf. Die Eisfelder des Kibo
fuukelten lockend über den Bachrand herüber. Da wir mehr horizontal westwärts
als bergauf gewandert waren, waren wir nur wenig über den UrWaldrand hinaus-
gekommen. Unsere Meereshöhe betrug 2890 in. Hier am Muebach sollte das beab-
sichtigte „Mittellager" zwischen Marangn und dem Sattelplatean mit dem großen
Zelt für Wochen eingerichtet werden.
Der spätere Nachmittag wurde durch die Vorbereituugeu zur ersten Kibo-
besteiguug in Anspruch genommen, zu der wir uns in früher Morgenstunde auf-
machen wollten. Der Kibokegel lag etwa 2f km von nnserm Lager entfernt, auf
seiner ca. 6 km breiten Basis 1680 m hoch über nnserm 4330 m hohen Standpunkt
aufgetürmt. Auf seiner rechten Hälfte liegt nur eiu schmaler, blau geränderter Eis-
kränz oben auf seinem horizontalen Oberrand, die steilen Felswände und Lavarücken
sind dort ganz schuee- und eisfrei, auf der linken Hälfte aber reicht der Eismantel
in eiuzelueu Zungen fast bis zur Kegelbasis herab, uuten überall zerrissen und steil
abstürzend, und in der Mitte, uns zugekehrt, streckt sich eine breite Eiszunge zwischen
zwei hohen, weitauslaufenden Felsmauern in das von diesen eingefaßte Tal hinein,
deren Zerrissenheit ebenfalls wenig einladend aussah. Wo aber der liuke Felsrücken
in zwei Drittel der Bergeshöhe an das Eis ansetzt, schien die Neigung des Eismantels
weniger schroff, das Eis weniger zerrissen zu fein als anderwärts, und von dort war
allem Anschein nach die höchste Schneekuppe auf dem Südrand des Berges anf dem
kürzesten Weg zu erreichen.
Unsere Absicht ging infolgedessen dahin, auf der genannten, nach Südosten aus-
laufenden Bergrippe zur Schneelinie aufzusteigen und von ihrer Grenze aus das
Klettern aus dem Eismantel zu beginnen. Der Weg war weit, die Arbeit voraus-
sichtlich sehr schwer. Und die bange Ungewißheit, was der nächste Tag bringen werde,
ließ uns beide in der Nacht nur wenig zu der doch so nötigen Ruhe kommen.
Von 1 Uhr ab schauten wir alle Viertelstunden bei Streichholzflackern nach der
Uhr; um |-3 Uhr krochen wir aus dem Zelt. Die Nacht war kalt und stockfinster, von
dem erhofften Mondlicht keine Spur. Rasch waren die Rucksäcke übergeworfen, die
Eispickel erfaßt und die Laterne angezündet. „Kuaheri" („Lebwohl"), rief ich nnserm
in seinem Felsspalt schlafenden Mnmi1 zu; „Kuaheri, bwana, na rudi salama"
1 Muini Amani, ein Neger aus Pangani, der als einziger Eingeborener bei den beiden
Europäern in 4500 m Höhe 3 Wochen lang ausharrte. [ET]
9*