7. Berlin.
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Eine wesentliche Hilfe aber für den wirtschaftlichen Kampf gewinnt Berlin auch
aus dem regen wissenschaftlichen Leben, das manchen Zweigen der Industrie erfin-
derifch neue Wege eröffnet, andern reiche Beschäftigung sichert. Die Technische Hoch-
schule zu Charlottenburg ist ein glänzendes Beispiel der wirtschaftlichen Schöpferkraft
geistiger Arbeit. Aber wer tiefer in die Entwicklung der Völker und das Schmieden
ihrer eigenen Geschicke zu blicken gewohnt ist, wird auch der Berliner Universität nicht
vergessen. Wie herrlich hat sie den Gedanken erfüllt, den der König zur Zeit der
tiefsten Demütigung Preußens bei der Gründung dieser Hochschule (1810) aussprach,
der Staat müsse durch Anspannung der geistigen Kräfte ersetzen, was er an materieller
Macht verloren habe! Es gibt keinen Zweig der Wissenschaft, in dem nicht diese
Hochschule zeitweise die Führerschaft übernommen und fruchtbar längere Zeit fest-
gehalten hätte.
In der Pflege des Geistes, der Berlins vielseitige Arbeit durchweht, liegt eine
sicherere Bürgschaft der Fortdauer seiner Blüte als in dem Gewicht der Menschenzahl,
die hier sich zusammendrängt. Von 200 000 im Jahre 1808 hat Berlin bis 1900 aus
1 900 000 Bewohner sich vergrößert, von denen allerdings nicht die Hälfte (42 Prozent)
in Berlin geboren, die meisten zugewandert sind. Aber das ist nicht alles! Die Haupt-
städte wachsen selten in fester Geschlossenheit. Sie stoßen, wie in Bildung begriffene
Weltkörper, von sich Bevölkerungssplitter ab, welche, bisweilen mit besonderen Auf-
gaben, iu engster Nachbarschaft ein eigenes Leben führen. Je größer eine Stadt wird,
desto mehr erzeugt die Sehnsucht nach Freiheit und Zurückgezogenheit im Gegensatz
zu dem zentripetalen Zwange des Berufs einen zentrifugalen Drang in der Ver-
Wertung der Stunden der Muße und der häuslichen Ruhe. So umgab sich Berlin
mit eiuem Schwärm von Vororten, die eine Zeitlang selbständig bestehen, aber all-
mählich doch wieder erreicht und verschlungen werden von dem nachrückenden Un-
geheuer der Weltstadt. Schon hängen unmittelbar mit Berlin zusammen die in der
Gemeindeverwaltung selbständig fortbestehenden Städte Charlottenburg (218 000 Em-
wohner), Schöneberg (113 000 Einwohner), Rixdorf (106 000 Einwohner) und eine
Menge Dörfer städtischen Charakters. Der ganze Hof von Vororten, der Berlin um-
gibt und von dem Glänze dieses Sternes sein Licht empfängt, fügt der obengenannten
Volkszahl der Hauptstadt mehr als 800 000 Köpfe hinzu. Dabei sind schon mit ein-
geschlossen die ganz in Berlins Bannkreis gezogenen alten Havelstädte Spandau
(70 000 Einwohner) und Potsdam (60 000 Einwohner). Spandau erhielt durch die
Vereinigung von Havel und Spree eine für das Mittelalter feste, freilich nicht sehr ge-
sunde Lage. Es ist die zentrale Depotsestung der Monarchie mit großen Arsenalen,
Fabriken von Waffen und Munition; auch der Reichskriegsschatz wird hier verwahrt.
Dagegen ist Potsdam, umgeben von den Parken der Schlösser Sanssouci, Babelsberg,
Glienicke, eine stille, anmutige Residenz. Die weiten Wasserspiegel der Havelseen,
die Baumgruppen und Ziergärten, zwischen denen die Schlösser hervorschauen, atmen
Ruhe uud Frieden und laden ein zum behaglichen Genuß edler Muße.