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B. Zur Länderkunde.
Die früher schon durch treffliche Kunststraßen untereinander verbundenen,
aber immerhin gewissermaßen abgeschlossenen Täler sind durch die im Jahre 1873
eröffnete Schwarzwaldbahn (von Offenburg über Triberg nach Singen), die so
recht das Herz des Gebirges durchschneidet, dem Fremdenverkehr geöffnet. Diese
großartigste Gebirgsbahn des Reiches durchbricht auf kühn angelegten Brücken und
Viadukten in 38 Tunneln die Bergketten und gewährt durch ihre vielverschlungenen
Krümmungen in rascher Aufeinanderfolge stets neue überraschende Blicke aus die
bewaldeten Höhen und in die von einer gewerbtätigen Bevölkerung bewohnten
Talgründe. In neuester Zeit überschreitet auch im oberen schönen Kinzigtale eine
Bahn das Gebirge und mündet bei Freudenstadt, und noch an mehreren anderen
Stellen dringt der Verkehr mit Dampfkraft weit in die herrlichen Täler ein, um
schönen Punkten wie der Hornisgrinde oder dem sagenberühmten Mummelsee näher-
zukommen.
Der Schwarzwald nährt seine Bewohner fast nur durch die Erzeugnisse seiner
Oberfläche, doch finden sie in den großen Waldungen ein hinreichendes Auskommen.
Die meist engen und tief eingeschnittenen Täler der wilden Gebirgsbäche werden
durch Einrichtung von Stauwehren angeschwellt, und so gelingt es, die riesenhohen
Kiefern, Fichten und Weißtannen in den Rhein zu flößen; auf diesem schwimmen
sie häufig bis in die Niederlande, deren unerschöpfliches Holzlager seit Jahrhunderten
der Schwarzwald ist. Solche Holzstämme, die daher auch Holländer genannt werden,
haben bisweilen eine Länge von 25 bis 30 in. Der Erlös daraus ermöglicht deu
Bewohnern den Ankauf des Brotkorns, das besonders in den: südlichen Teile der
karge Gebirgsboden verweigert.
Auch verschaffen mancherlei Erzgänge und Heilquellen, das Kohlen des.Holzes,
das Teerschwelen und Harzreißen Beschäftigung und Unterhalt. Schwarzwälder
Holzschnitzereien, Strohhüte, vorzügliche Uhren find durch ganz Deutschland, ja weit
darüber hinaus bekannt. Es sind „kleine Gewerbszweige, wie sie sich fast in allen
Gebirgen finden, nicht so wichtig als Nahrungszweig wie als ,Salz des Landes', als
Beschäftigung für die kunstreichsten, aufgewecktesten Söhne des Gebirges, die auf
solche Weise der Heimat erhalten werden". (Mendelssohn.)
Die Uhrenfabrikation nahm seit der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts, ge-
fördert durch tüchtige Gewerbeschulen und die mit ihnen in Verbindung stehenden
Gewerbevereine, einen ganz ungeahnten Aufschwung. Dazu kommt in neuerer
Zeit die Herstellung von Musikwerken, vorzugsweise iu Furtwangen und Kirnach.
Gegenwärtig hat die rasche Zunahme des Absatzes der Schwarzwälder Uhren zu
einem fabrikmäßigen Betriebe geführt, der bereits seit längerer Zeit in Villingen,
Neustadt und Triberg herrschte, während daneben die Hausindustrie besonders im
westlichen Teile des Gebirges in alter Weise fortbesteht. Im ganzen finden etwa
14 000 Menschen in den Amtsbezirken Triberg, Villingen, Neustadt, Waldkirch und
Freiburg ihren Unterhalt durch die Uhrenfabrikation, und die Zahl der hergestellten
Uhren geht hoch in die Millionen.
Der Charakter der Schwarzwälder, die kurzweg „die Wälder" oder „die Leute
des Waldes" genannt werden, hängt unverkennbar mit der Eigentümlichkeit ihrer
Heimat zusammen. Naturwüchsig wie ihre Berge, sind sie im allgemeinen felsenfest
in Gesinnung und Wort, ohne Verstellung und berückende Schlauheit, die in ihrer
Brust keine wohnliche Stätte finden. Biedere, herzliche Leute von ungeschminkter
Zutraulichkeit und liebenswürdiger Gemütlichkeit; bei allen Träumen einer reichen
Einbildungskraft, die, wie überall in den Waldgebieten, die Felsen, Büsche,