Full text: Geschichtliches Lesebuch

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Aber in der Hauptsache stimmte die Antwort der Stände, welche 
als kaiserliches Edikt im Reiche verkündigt wurde, mit dem Ent¬ 
würfe durchaus überein. 
Die Entscheidung über die Reformation war also hinaus¬ 
geschoben worden, und das war für die junge Bewegung ein un¬ 
berechenbarer Gewinn; sie zu unterdrücken, wurde mit der Zeit 
immer schwieriger. 
Die Ritterschaft. Der Landfriede Karls V. wurde mit 
nichten besser gehalten als die früheren. Nürnberg, der Sitz der 
Regierung und des Gerichtes, in diesem Augenblicke gewissermaßen 
die Hauptstadt des Reiches, war auf allen Seiten von wilder Fehde 
umgeben. Da, als das Regiment seine eigenen Mitglieder nicht zu 
schützen vermochte, brach gar eine Fehde aus, wie zu Maximilians 
Zeiten keine so gewaltig das Reich in Bewegung gesetzt hatte. Der 
Ritter Franz von Sickingen wagte es, im Jahre 1522 mit einem wohl¬ 
gerüsteten Heer, Fußvolk, Reiterei und Geschütz, einen Kurfürsten 
des Reiches, den Erzbischof von Trier, in seiner wohlbefestigten 
Residenz anzugreifen. 
In der Hauptsache war das auch nur eine Fehde wie so viele 
andere; aber sie bekam durch einige eigentümliche Umstände eine 
allgemeinere Bedeutung. Vor allen Dingen fühlte sich Sickingen als 
Vorkämpfer seiner Standesgenossen. Wir wissen, wie sehr die Ritter¬ 
schaft über den damaligen öffentlichen Zustand mißvergnügt war. 
Die Ritter waren verarmt, während die Kauf leute in den Städten 
immer reicher wurden; sie waren im Kriege durch die Fußsoldaten 
mit ihren langen Lanzen überflüssig gemacht worden; sie klagten 
über das Kammergericht, das nur den Schwachen zu finden wisse, 
den Mächtigen aber in Ruhe lasse; sie klagten über das Umsich¬ 
greifen der fürstlichen Macht, der fürstlichen Gerichte und Zölle, 
Nun meinte ein großer Teil der Ritter, als Sickingen die Waffen 
ergriff, jetzt würden sich die Dinge zu ihren Gunsten ändern, 
und überall regte es sich unter den Rittern, um Sickingen zu unter¬ 
stützen. Dazu kam die religiöse Neuerung. Wir haben von Sickingen 
einen Brief, worin er sich gegen die Bilder ausspricht, welche mehr 
für schöne Gemächer, als für die Kirchen geeignet seien, und worin 
er gegen die Anrufung der Heiligen eifert. In Sickingens Umgebung 
hielt man die Austeilung des Abendmahls in beiderlei Gestalt nicht 
nur für erlaubt, sondern für notwendig. Die geistlichen Zustände 
in Deutschland sollten geändert werden, und Sickingen machte den 
Anfang, indem er einen geistlichen Kurfürsten mit Krieg überzog 
um ihn zu stürzen. 
So bekam das Unternehmen Sickingens eine ungemeine Wich¬ 
tigkeit. In seinem Kopfe durchdrangen sich die Gedanken eines 
fehdelustigen Edelmannes, der sich einem mächtigen Fürsten ge¬ 
wachsen fühlte, eines Oberhauptes aller Ritterschaft und eines Vor¬ 
fechters der neuen Religionsmeinungen. 
Der Kurfürst Richard von Greiffenclau, ein tapferer Herr, hatte 
sich mit Kurpfalz und Hessen verbündet und die Verteidigung seiner 
Stoll, Geschichtliches Lesebuch, I. Teil, 2. Aufl. 
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