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Franz Senn weiter, Hände und Füße waren ihm schon erfroren; doch
erreichte er noch den Ort Rofen; für seinen Reisegefährten aber kam die
Hülfe zu spät.
Hören wir nun den eignen Bericht des Herrn Geistlichen, wie er
denselben im Boten für Tyrol und Vorarlberg, 1868 Nr. 288—90 ver¬
öffentlicht hat.*) Wir geben ihn unverkürzt, weil kein Wort überflüssig
und jedes bezeichnend ist für eine richtige Anschauung und Würdigung der
Situation.
„Ich war mit Cyper**) vom 26. October bis 5. November in Meran,
meinerseits, um die gebrochene Gesundheit zu fördern, und beiderseits, um
uns von den Strapazen des Sommers zu erholen. Eine höchstliebenswür-
dige Gesellschaft machte uns den dortigen Aufenhalt äußerst angenehm.
Nachdem ich vergebens am 5. November den Vorschlag gemacht hatte,
über Passeyer und das Timblerjoch nach Hause zu gehen, war es am
Freitag, den 6. November, höchste Zeit, von Meran aufzubrechen, um
noch am selben Tage nach Unsre l. Frau in's Schnalser Thal zu gelangen;
am Sonntage nämlich sollte ich offiziell zu Hause sein, somit war der
Samstag, der 7. November, zum Uebergange über das Hochjoch bestimmt.
Das vorausgegangene schöne Wetter ließ uns gar keine Besorgniß
ahnen; zudem versicherte uns ein soeben über das Hochjoch gekommener
Venter, Gregor Klotz, daß sehr gut zu gehen, und jenseits des Ferners
alles schneefrei sei. Wir kamen deshalb auch gar nicht in Verlegenheit,
als wir am Samstag Vormittag nach zweistündigem Marsche in Kurzras,
den letzten Höfen des Schnalser Thales, einen zwei Zoll tiefen Schnee
bei vorherrschendem Westwinde trafen, indem wir uns dachten, daß dieser,
wie es die Erfahrung oft lehrt, nicht über die Gebirgsscheide hinausreiche.
So wanderten wir, um 11V2 Uhr von Kurzras aufbrechend, getrost dem
Hochjoche zu. Um 1 ^2 Uhr erreichten wir die Paßhöhe am südwestlichen
Ende des Hochioch-Ferners,***) ohne auf besondere Schwierigkeiten zu
stoßen; blos nahm der Schnee gegen die Höhe hin allmälig an Tiefe zu,
so daß er zuletzt ungefähr xl2 Fuß betragen mochte. Dieses, sowie auch
der Umstand, daß es leicht schneite und der Wind kleine Schneewehen
zusammentrieb, vermochte uns aber keine Furcht einzuflößen; wir trösteten
uns vielmehr mit dem Gedanken, daß wir noch bei Tage weit über den
Ferner hinauskommen und dann aus dem neuen, gut gebahnten Wege
bequem gehen könnten. Dazu noch unsere genaue Ortskenntniß, vermöge
der wir es im Sommer fast gewagt hätten, die ganze Strecke mit ver-
bundenen Augen zurückzulegen. Leider war uns beschieden, eine bittere
Enttäuschung zu erfahren.
*) Vgl.: Aus dem Leben eines Gletscherführers, Blätter der Erinnerung an
Cyprian Granbichler :e. (München 1869).
**) Abkürzung von Cyprian.
***) Bekanntlich heißen in Tyrol die Gletscher „Ferner", welches Wort mit „Firn"
zusammenhängt.