112 Das Riesengebirge.
ihren Habseligkeiten und überließen die leeren Häuser, in denen sich noch 81
katholische Einwohner befanden, den Österreichern. Die drei Schleichen Kriege,
welche Hirschberg bald in den Besitz der Preußen, bald in den der Öfter-
reicher brachten, verursachten der damals sehr reichen Stadt viele Kosten. Die
Stadt verdankt ihren Reichtum dem Leinwandhandel und der Schleierweberei,
einer Kunst, die der Schuhmachergeselle Joachim Girnth auf seiner Wander-
schast in Haarlem erlernt und nach seiner Vaterstadt gebracht hatte. So be-
deutend war Hirschbergs Handel in der Mitte des vorigen Jahrhunderts, daß
diese Stadt allein im Jahre 1752 für 8100000 Mark feine Leinwand aus-
führte. Beide Erwerbszweige erlitten gegen Ende des verflossenen Jahrhunderts
erhebliche Verluste; in neuerer Zeit hoben sich Handel und Verkehr wieder,
und besonders ist die Fabrikthätigkeit in gedeihlichem Aufschwünge begriffen.
Hirschberg hat jetzt 14 400 Einwohner. Die katholische Kirche des Ortes liegt
in der Nähe des Ringes, ist 1108 gegründet und 1304 von Herzog Heinrich
von Jauer neu erbaut. Durch den Pfarrer Löwe ist sie 1879 vollständig er-
neuert worden, so daß sie nun zu den schönsten Kirchen Schlesiens zu rechnen
sein dürfte. Der rein gotische Stil des Gebäudes, die künstlerisch ausgeführten
Wandmalereien, die seltenen Kunstschätze im Innern, Statuen und Bilder, machen
einen erhebenden Eindruck. Die evangelische Kirche ist eine von den sechs durch
Karl XII. von Schweden in der Altranstädter Konvention (1706) von Kaiser
Joseph I. gegen ein Geschenk der Stadt von 3000 Dukaten und ein Darlehn
von 100 000 Gulden erlangten schleichen Gnadenkirchen; die Kirche ist massiv,
in Kreuzesform mit einem kuppelförmigeu Turm erbaut, hat über 4000 Sitz-
Plätze, eine gemalte Decke und eine sehr schöne große Orgel sowie eine in Erz
gegossene Büste Luthers von Schadow vom Jahre 1817.
Die Umgebung Hirschbergs bietet die schönsten Spaziergänge. Ganz in
der Nähe der Stadt liegt der Kavalierberg, der seinen Namen von einem aus
demselben im Jahre 1778 im Bayrischen Erbfolgekriege angelegten Bollwerke
(Kavalier) erhielt. An der einen Seite des Berges liegt die schöne Villa
Agathenfels. Nur eine Viertelstunde von der Stadt entfernt ist der Hausberg,
der vorzeiten ein militärisch wichtiger Punkt war, da auf dieser das Bober-
und Zackenthal beherrschenden Höhe die Burg stand, welche Boleslaw III. im
Jahre 1110 zum Schutze der zwei Jahre zuvor von ihm mit Mauern umge-
benen Stadt erbauen ließ. Im Jahre 1434 trat Kaiser Sigismund die Feste
an die Bürger ab, welche sie zerstörten, damit die Hussiten hier nicht festen Fuß
fassen und der Stadt Schaden zufügen sollten. In den verschütteten Kellern der
Burg sollen große Schätze liegen, die von mächtigen Geistern bewacht werden,
und welche nur einmal jährlich, und zwar in der Christnacht von 12—1 Uhr
(so lange nämlich, als in der katholischen Kirche zu Hirschberg der Gottesdienst
dauert), zugänglich sind, wo dann eine Thür mitten am Berge den Eingang zu
einem langen und schmalen Pfade zeigt, der zu den verborgenen Kostbarkeiten
führt. Nun erzählt man sich, daß vor ungefähr hundert Jahren ein armer
Perückenmacher aus Hirschberg, Kilian mit Namen, wirklich den Versuch gemacht
hat, an dem genannten Tage hier einzudringen, und es ist ihm dann auch ge-
lungen, zweimal so viel Gold und Silber fortzubringen, als sein weiter Mantel
fassen konnte. Ein dritter Versuch gereichte ihm freilich zum Verderben, denn
man fand seinen Körper zerschellt zwischen den Felsen.