332 Die schlesische Hauptstadt und ihre Umgebungen.
Töchterlein und einen hübschen, aber trotzigen und leichtsinnigen Burschen hatte.
Aus diesem Lehrling und dem Töchterchen des Meisters wurde gar bald ein
Liebespaar; aber Meister Frank dachte nicht daran, dem armen und unerfahrenen
Burschen seine Tochter zu versprechen. Darüber ergrimmte der Bursche und
zog hinaus in die Welt; er hoffte durch seine Geschicklichkeit in der Weite
seine Nahrung zu finden, aber niemand nahm ihn in Arbeit, weil er sich nicht
als Geselle ausweisen konnte. So kam er denn bald herunter, irrte planlos
umher in zerrissenen Kleidern und halb verhungert. Als er eines Tages er-
wachte — er hatte unter freiem Himmel im Walde geschlafen — standen einige
wild aussehende Männer um ihu, die ihn aufforderten, einer der Ihrigen zu
werden; sie seien Straßenräuber, die ein lustiges Leben führen. Der Bursche
nahm den Vorschlag an, blieb über zwei Jahre bei den Räubern und hatte das
Glück, allein den Verfolgern zu entgehen, während alle seine Kameraden der
Gerechtigkeit in die Hände fielen. Mit den geraubten Schätzen beladen, ritt er
in seine Vaterstadt ein, ging zum Vater seiner Geliebten und bat um die Hand
derselben; er erzählte, wie ihm in der Welt alles geglückt sei und er als reicher
Mann zurückkehre; aber Meister Frank glaubte dem Burschen nicht und warf
ihn zur Thür hinaus. Wütend und Rache schnaubend eilte der Räuber nach
der Insel des Domes, wo der ihm verwandte Domtnrmwart ihm eine Herberge
gab. In der Nacht schlich er fort, erbrach den Laden des Goldschmiedes, warf
Stroh, Zunder und zuletzt eine brennende Lunte hinein und entfloh dann. Kaum
hatte er den Dom erreicht, da weckte die Sturmglocke die Bürger; denn des Gold-
schmieds Haus brannte hell, und vom Sturme getrieben wälzte sich die Flamme von
Haus zu Haus, von Straße zu Straße. Der boshafte Brandstifter steckte den Kops
durch eine Luke des Domturmes und sog gierig den Rauchdampf ein, der den Turm
einhüllte. Da kam ihm plötzlich ein wunderliches Grausen an; es kam ihm vor,
als werde ihm die Luke zu eng. Er wollte seinen Kopf zurückziehen, aber konnte es
nicht. Immer enger zog sich das steinerne Band um seinen von der Anstrengung
geschwollenen Hals. Er zerschlug sich die Häude an der Mauer, die ihn gesangen
hielt; er schrie um Hilfe, die Augen traten starr aus ihren Höhlen, und sehr
bald endete der Verräter sein Leben durch Erstickungstod. Das Gesicht an der
Mauer des Turmes, noch heute sichtbar, ist das Konterfei des Bösewichts.
Hofer mit dem langen Barte. Zur Zeit Karls Y. lebte in Breslau
ein Weißgerber, der Hofer hieß uud einen so langen Bart hatte, daß er ihm
bis auf die Sohlen feiner Füße reichte. Damals ließ sich in Wien ein fremder
Mann mit einem langen Barte für Geld sehen; und als zwei Ratsherren aus
Breslau erklärten, daß in ihrer Vaterstadt ein Mann lebe, der einen längeren
Bart habe, wollte das der Kaiser nicht glauben, befahl dann aber, daß Hofer
auf seine Kosten nach Wien kommen und, wenn er den Sieg über den Fremden
davontragen würde, sich eine Gnade von ihm ansbitten folle. Hofer reiste nach
Wien, stellte sich dem Kaiser vor, und es zeigte sich alsbald, daß sein Bart
länger war als der des Fremden. Als nun der Kaiser den Sieger ausforderte,
sich eine Gnade auszukitten, sagte Hofer, der ein reicher und bereits bejahrter
Mann war, er bedürfe nichts; allein wenn ihm der Kaiser eine Gnade bewilligen
wolle, so möge er befehlen, daß, wenn er gestorben sein würde, der gesamte
Breslauer Rat seine Leiche begleiten solle. Diese Ehre ist ihm bewilligt worden,
und das Grabmal Hofers ist noch heute in der Kirche zu St. Barbara zu sehen.