19. Konstantinopel.
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ohne Unterbrechung auf das Pflaster aufschlagen läßt, so wird namentlich durch
das Gebell uud Geheul der Meute die Nachtruhe gestört. Im ganzen find
diese Tiere friedlich und dabei äußerst genügsam. Wenn es regnet, so trinken
fie — wenn nicht, wissen sie auch den Dnrst zu ertragen; im Winter frieren
sie uuter Schnee und Frost, im Sommer schmachten fie. Die Tollheit ist eine
unter ihnen unbekannte Krankheit.
Nach Skutari gelangt man auf dem Dampfschiff in */4 Stunde. Es ist
eine durchaus türkische Stadt, zugleich die Begräbnisstadt aller gläubigen Mo-
hammedaner von Stambul. Der GroßeFriedhof von Skutari ist darum äußerst
sehenswert. Er bildet einen ungeheuren Cypressenwald mit Bäumen von un¬
gewöhnlicher Dicke, in deren Gipfeln Tauben nisten. Der Friedhof zählt viel-
leicht 1[2 Million Gräber mit aufrecht stehenden Grabsteinen, die sämtlich aus
Marmor gearbeitet sind. Die Grabsteine der Männer sind mit einem Turban
oder Fez, die der Frauen gewöhnlich mit einem Blumenstrauß bezeichnet. Die
stehenden Steine von Menschenhöhe mit den aufgesetzten Turbanen machen
einen fast geisterhaften Eindruck. Die Grabinschriften bezeichnen mehrfach das
Sterben als die Übersiedlung aus dem „Hause der Vergänglichkeit" in das
„Haus der Ewigkeit."
Von da an, wo Skutari auf hervorspringender Küste liegt, rechnet man bis
zum Schwarzen Meere den Bosporus. Nichts Schöneres giebt es als eine
Fahrt durch diese Meeresstraße. Der Bosporus ist mehr als 20 km lang
und bietet aus seiuer ganzen Ausdehnung auf beiden Seiten die denkbar lieb-
lichsten Plätze sür Menschenwohnungen. Die Landschaft gleicht etwa den besten
Teilen des Rhein- oder Donanthales; nur ist sie viel stärker mit Ortschaften,
vorzüglich mit prachtvollen Landhäusern uud Palästen besetzt. Auf den Höhen
gewahrt man überall Pinien mit ihren hohen kahlen Stämmen und den buschigen
Kronen. Einer der reizendsten Orte am Bosporus ist Bujukdere aus der
europäischen Seite. Hier nehmen, seit die Prinzeninseln in dieser Beziehung
etwas aus der Mode gekommen sind, europäische Familien aus Pera mit Vor-
liebe ihren Sommeraufenthalt. Von da an werden die Villen seltener; der
belebte Teil des Bosporus ist hinter uns, aber die Natur entwickelt sich nun
üppiger, besonders auf dem auatolifchen Ufer. Endlich gelangen wir zu den
beiden Schlössern, welche am Ausgange des Bosporus in das Schwarze Meer-
Wache halten. Die Brise wird srischer und salzdustiger, Fischgeier kreiseu uns
zu Häupteu, die Wellen zu unseren Füßen hüpfen lebhafter, der Horizont weitet
sich, es rauscht und braust wie Brandung: wir sind im Pontus!
Nach Murad Efendi, Fauckier, v. Criegern.
Umschau m Heimat und Fremde. IL
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