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D. In Frankreich.
schrecklich. Obgleich man sich auf dem Scheitel des Vorgebirges in einer Höhe
von 80 m über dem Meeresspiegel befindet, so wird man doch vom Schaume der
Wogen erreicht und suhlt den Boden deutlich unter seinen Füßen erbeben.
Unten aber in der Tiefe öffnet sich ein Abgrund, in welchem die Wogen mit
Donnergebrüll aufeinander stoßen. Draußen vor diesem Vorgebirge liegt die
vielzackige, mit Klippen gepanzerte Insel Sein, fast immer eingehüllt in den
Wasserstaub wirbelnder Wogen.
Vor der nordwestlichen Ecke der Bretagne liegt die Insel Ouessant. Die
Strömungen, welche hier aufeinander stoßen uud ihre Wirbel immer aufs neue
ändern, die sichtbaren Klippen sowohl als die unter dem Wasser befindlichen
Felsen, die Häufigkeit der Stürme und Nebel, das plötzliche Umspringen des
Windes in diesen Gegenden — alles trägt dazu bei, diese Gewässer au der
Westküste der Bretagne zu deu gefährlichsten der Erde zu machen.
Im Norden hat die Granitküste dem Anpralle der Meereswogen bis zur
Insel Brehat hin verhältnismäßig guten Widerstand geleistet; weiter nach Osten
aber gelang es dem Meere einen tiefen Busen (den von St. Malo) anszu-
nagen. Hier sind die Umrisse der User im Laufe der Jahrhunderte bedeutend
verändert worden; Halbinseln verwandelten sich in Inseln, und wie auf der
deutschen Küste, so weiß man auch hier von Städten zu erzählen, die in den
Fluten versunken sind. An der Küste des Busens von St. Malo erreicht die
Flut eine Höhe 10, 12, auch 15 in über dem Spiegel der Ebbe, und es giebt in
der ganzen Welt nur zwei Küstengegenden (Mündung des Severn und Fun-
dybai), wo dieser Unterschied zwischen Flut uud Ebbe noch beträchtlicher ist.
Man muß von St. Michel ans (in der südöstlichen Ecke des großen Meer-
busens gelegen) das Küstenbild während der Flntzeit beobachtet haben. Dann
verschwindet ein Stück Land von 300 qkm Fläche in den Wogen; der Berg
St. Michel mit seinen Kerkern, seiner Kirche und seiner Festung wird zur
Insel; die Mündungen der Wasserläufe verwandeln fich in weite Ästuarien.
Die ungeheure Wassermasse aber, welche zur Flutzeit über das Land herein-
bricht, ist auf 1300 Mill. kbm geschätzt worden.
Wie aus der niederländischen und friesischen Küste, so sucht man auch hier
durch Ausführung von Deichen dem Meer? einen Teil feines Raubes wieder
abzugewiuuen. In den Küstengewässern, die reich an Seetieren aller Art sind,
betreibt der Bretone eifrig den Fischfang. Taufende kleiner Fahrzeuge werden
ausgerüstet für den Fang des Herings, der Sardinen, Makrelen und Austern.
Aber die kühnen bretonischen Fischer verlassen auch vielfach ihre heimatlichen
Küsten, um anderswo (selbst bis nach Island und Neuschottland hin) den Fang
zu betreiben. Sogar die ackerbautreibende Bevölkerung des Binnenlandes
beteiligt sich an weiten Seenuternehmuugen. Hunderte von jungen Männern
beschäftigen sich jedes Jahr im (hier milden) Winter erst mit der Bestellung