71. London.
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nach London sind, oder der offenen See zustreben, oder den Verkehr beider
Ufer vermitteln. Ist man bei Woolwich vorüber und hat Greenwich erreicht,
so werden die Wiesen und Haine an den Ufern seltener, die Häuser, Landsitze
und Speicher häufiger. Zum erstenmal zeigt sich dem erwartungsvollen Blicke
das Häusermeer der Riesenstadt, die mit Woolwich und Greenwich zusammen
fast 5 Millionen Einwohner zählt. Endlos, meilenweit, sinnverwirrend drängen
sich die Häufermaffen. Über das Gewimmel der gleichförmigen Dächer erheben
sich hervorragende Bauten, wie die Gestalten berittener Offiziere über die
Masse des Fußvolkes. Unmittelbar aus dem Wasser steigeu hohe, vielseustrige
Ziegelbauten aus, welche riesige Inschriften tragen. Es sind Werften (wharfs),
deren Krane gleich gierigen Polypen ein Bündel nach dem anderen aus dem
Schiffsräume heraufholen, um es dem Lagerräume zuzuführen. Mitten zwischen
den Häusern bemerkt man abseits des Stromes da und dort einen Mastenwald.
Hier liegen in künstlich gegrabenen und gemauerten Wasserbecken (den „Docks"),
die durch schmale Kanäle mit dem Strome verbunden sind, Hunderte von
Schiffen. Vor uns erheben sich die finstern Quaderwälle und Türme des
Tower, weiterhin steigt die mächtige Kuppel von St. Paul auf, und ganz in
der Ferne unterscheidet man die geradansstrebenden gotischen Formen von West-
minster.
Wir legen in der Nähe des Tower an und befinden uns hier am Anfange
der City, des ältesten Stadtteiles von London. Noch zur Zeit der Königin Elisa-
beth trennten Felder die City von den benachbarten Dörfern, die jetzt längst mit
der Stadt verschmolzen sind. Die City ist der Mittelpunkt des Londoner
Handels. Die Kaufleute haben hier ihre Schreibstuben und Warenlager, aber
nicht ihre Wohnungen. Zu Tausenden kommen sie am Morgen auf den ver-
fchiedeuen Omnibus-, Pferde- und Eisenbahnlinien nach der City, um abends
wieder nach ihren vorstädtischen Wohnungen zurückzukehren. So find nachts
2000 Häuser in der City unbewohnt uud dem Schutze der Polizei anvertraut.
So recht im Mittelpunkte der City liegen die Bank von England, die Börse
und das Mansionhonse. Letzteres ist die Amtswohnung des Lord Mayor, des
politischen Oberhauptes der Stadt London. Ganze Straßenzüge kommen in
diesem Teile der City als in einem Centralpuukte zusammen. Das Rathaus
(Guildhall) liegt ein paar Straßen weiter. Westlich von der Bank uud dem
Mansionhonse gelangt man nach der Paulskirche, einem riesigen Bauwerke
von dunkelgrauer Farbe, an welchem alle hervorspringenden Teile völlig schwarz
sind. Wer bis zur Goldenen Galerie des Turmes emporsteigt, erfreut sich der
herrlichsten Aussicht über die Riesenstadt. Eine solche gewährt auch das
„Monument" oder die.Säule, welche zum Andenken an die große Feuers-
brunst vom Jahre 1666 errichtet wurde, und sich in der Nähe der London-
brücke (London Bridge) erhebt. Nachdem man in der Säule 345 Stufen